Die Hölle, das ist der Zuschauerraum - Performing Arts Festival Blog 2018

Die Hölle, das ist der Zuschauerraum

6. Juni 2018

INTERVIEWS

Mareile Metzner und Christoph Schüchner haben im Theater unterm Dach „Der Theaterkritiker“ von Tobias Schwartz uraufgeführt. Ein Gespräch über Untote, freies Arbeiten und die unmögliche Trennung von Beruflichem und Privatem.

Mit „Der Theaterkritiker“ habt Ihr im Theater unterm Dach eine Uraufführung inszeniert. Wie kam es dazu?

Mareile Metzner: Das war ein klassisches Match. Vom Autor Tobias Schwartz wurden schon zwei andere Stücke im Theater unterm Dach uraufgeführt. Dessen Leiterin Liesel Dechant fand, dass das eine perfekte Rolle für Christoph wäre. Auch wir hatten ja schon am TuD gearbeitet. Also hat Liesel Dechant gesagt, es wäre super, wenn Mareile das inszeniert. Ich kannte zufällig den Autor, die Szene ist ja dann doch überschaubar, vor allem wenn man lang genug dabei ist. Also haben wir uns getroffen und ich habe mir Gedanken gemacht, was ich für eine Idee zum Text habe.

Welche Idee hattest Du?

Metzner: Unser Ansatz ist gewesen, dass sich das nicht darauf beschränkt, ein Stück über einen Theaterkritiker zu machen. Sondern die Lebenswelt zu zeigen, in der er sich befindet. Und in der er sich – und das ist auch sein Dilemma – zwar immer sehr erfolgreich geschlagen hat, aber trotzdem in der Position des Außenstehenden bleibt, nicht produziert, nicht künstlerisch gestaltet. Diese Welt beobachtet er klug und analytisch mit einem messerscharfen und auch sehr bösen, weil frustrierten Blick, weil er eigentlich gerne Teil dessen gewesen wäre. Er versucht, das Theater runterzumachen. Und wir versuchen zu zeigen, wie toll Theater sein kann, was es alles kann.

Bei Euch ist der Kritiker eine Art Blutsauger…

Metzner: Wir haben mit dieser draculaähnlichen Figur eine Kunstfigur geschaffen. Im Grunde ist er zutiefst frustriert und ängstlich in seinen Bedürfnissen. Dass Christoph mit von einem Zahnarzt angefertigten Draculazähnen spielt, schafft eine Verfremdung, ist aber auch ein schönes Bild, weil dieses Theaterkritikertum seinen Lebenssaft aus der Arbeit anderer zieht, sie aussaugt, im schlimmsten Fall vernichtet. Was natürlich nicht für jeden Theaterkritiker gilt. Das Ganze ist eine Parabel auf einen gescheiterten Lebenslauf, das geht für jeden anderen Beruf auch. Hier ist es halt ein Theaterkritiker, der aus Angst oder aus Mangel an Gelegenheit die falschen Entscheidungen getroffen hat und nicht den Lebensweg gegangen ist, den er vielleicht hätte gehen wollen.

Wie löst ihr das szenisch?

Schüchner: Die Ausgangssituation des Stückes ist, dass der Kritiker sich in einer Zwischenwelt befindet, in einer Vorhölle, einem merkwürdigen Zustand, den man erst mal noch nicht identifizieren kann. Er wandelt verwirrt herum, ist mehr oder weniger gefangen und man weiß nicht genau, wo er eigentlich ist. Am Ende zeigt sich, dass er nicht in der Hölle ist, weil Satan ihn nicht wollte, ihn ins Theater zurückgeschickt hat. Wenn ich von dieser Situation ausgehe, ist die Hölle für einen Theaterkritiker, dass er nie eine Bühne kriegt, dass er immer im Zuschauerraum sein muss. Deswegen haben wir das umgedeutet und sind auf die Idee gekommen, den Raum zu sprengen, also Fragmente eines Zuschauerraums auf der Bühne rumstehen zu lassen, die schräg, zum Teil kaputt sind.

Interessiert euch das Thema, weil ihr Teil der Szene seid?

Metzer: Ja, natürlich. 

Apropos Szene: Wie würdet ihr die jetzige Berliner freie Szene beschreiben?

Schüchner: Es gibt in der freien Szene, dadurch dass viele Leute von den Staats- und Stadttheatern abwandern und sich hier in Berlin sammeln, einen großen Pool mit sehr guten Schauspielern, sehr guten Regisseuren. Das heißt, die freie Szene ist reich, begabt und das macht großen Spaß, weil du mit richtig guten Leuten arbeiten kannst. Das wird total unterschätzt, auch von der Kritik. Die Kritiker in den großen Zeitungen unterscheiden sehr zwischen ernsthaftem, großen Theater und freier Szene. Die sagen: „In die freie Szene gehe ich gar nicht, die finde ich nicht relevant“. 

Metzner: Viele Leute aus der freien Szene arbeiten inzwischen auch immer wieder an großen Häusern. Es gibt inzwischen auch viele sehr renommierte freie Gruppen, die an großen Häusern arbeiten. Aber beim Bildungsbürgertum ist das oft noch nicht angekommen. Das muss durch irgendjemanden herangeführt werden. Oft haben wir erlebt, dass Leute, gerade Freunde und Bekannte, die theateraffin sind, aber keine Theaterschaffenden, durch uns mit der freien Szene in Berührung kommen und plötzlich ganz begeistert sind, regelmäßig kommen. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist das noch nicht so.

Wie findet ihr das PAF, das genau auf die freie Szene abzielt?

Metzner: Das ist super, ein wichtiger Versuch, der hoffentlich auch gelingt. Er spricht natürlich immer in erster Linie junges Publikum an. Da diese bürgerliche Mittelschicht hinzukriegen, die ja natürlich auch zahlungskräftig ist, das ist auch immer noch eine echte Herausforderung. 

Ihr seid auch privat ein Paar. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Metzner: Privates und Berufliches ist bei uns schwer zu trennen. Wir sind auch deswegen noch als Paar zusammen, weil wir eine ähnliche Vorstellung von Theater und unserer Sprache haben und weil man sich im Laufe der Jahre ja auch gegenseitig beeinflusst. 

Schüchner: Wir haben einen ähnlichen Geschmack, lachen im Theater oft über dieselben Dinge. 

Metzner: Es ist allerdings genauso wichtig, nicht immer nur im eigenen Saft zu kochen, auch mit anderen zu arbeiten. Ich finde es super, dass das gemeinsame Arbeiten so gut funktioniert. Aber ich würde es auf keinen Fall dauernd machen wollen.

Schüchner: Für „Der Theaterkritiker“ war es besonders wichtig, dass wir so gut miteinander funktionieren und in relativ kurzer Zeit gemeinsame Entscheidungen fällen können, weil sie unter großem Zeitdruck entstanden ist. Da war es wichtig und gut, dass wir uns gut kennen und über bestimmte Dinge nicht mehr reden müssen.

Metzner: Das ist natürlich auch eine große Freiheit im Gegensatz zum Ensemble im Stadttheater. Natürlich gibt es Ausnahmen wie an Frank Castorfs Volksbühne, das über Jahre zusammengewachsen ist. Aber meist werden Leute zusammengewürfelt, die eigentlich nicht zusammenpassen. In der freien Szene kann man sich die Konstellationen selber schaffen. Da entstehen Netzwerke und Geflechte, man weiß bald, mit wem man gerne was arbeiten würde. Aber ob dieses Projekt dann auch Geld kriegt, ist die Frage.

Womit wir beim ewigen Thema Geld wären.

Metzner: Genau. Ich habe mal ein Projekt gemacht, da ging es darum, dass dieses Schreiben von Anträgen schon eine Kunstform an sich ist. Es gibt wirklich Statistiken, dass von zehn Anträgen, die du schreibst, einer eine Förderung bekommt. Und wie viele brillante Ideen in einer Schublade landen, weil es einfach kein Geld dafür gibt! 

Wie ist das beim „Theaterkritiker“?

Metzner: Es gab eine Förderung vom Bezirksamt Pankow für Weiterbildung und Kultur. Wir haben die Produktion aber auch absichtlich klein gehalten, damit wir wenigstens ein bisschen was davon haben. Was dann wiederum sehr anstrengend ist für einen, weil wir vieles machen, was eigentlich gar nicht unser Job ist. In dem Fall auch Bühne, Kostüme und Produktionsleitung. 

Schüchner: Kurz gesagt: Es gibt viel zu wenig Geld für viel zu gute Leute. 

Mareile Metzner, Schauspielerin/ Regisseurin, und Christoph Schüchner, Schauspieler, arbeiten seit einem gemeinsamen Engagement 1995 in den verschiedensten Zusammenhängen miteinander. „Der Theaterkritiker“, geschrieben von Tobias Schwartz, ist ihre zweite gemeinsame Arbeit. Sie läuft am 9. und 10. Juni im Theater unterm Dach.

Von Franziska Hansen