Eine Melodie, eine Geste - Performing Arts Festival Blog 2018

Eine Melodie, eine Geste

9. Juni 2018

KRITIKEN

In „herstory I _ unplugged“ werfen Eva Baumann und Biliana Voutchkova einen weiblichen Blick auf die Musikgeschichte.

Stille. Die Frauen stehen starr. Ein intensiver Blick der einen streift die andere, trifft sie nicht. Die Zeit scheint für einen Augenblick stillzustehen. Als die Intensität ihren Höhepunkt erreicht, bewegt sich Eva Baumanns Knie ganz leicht, kaum merklich. Die kleine Bewegung setzt sich von Gelenk zu Gelenk durch den Körper fort, und mit dem Einsatz von Biliana Voutchkovas Violinspiel gleitet Baumann zurück in ihre Tanzimprovisation.

In „herstory I _ unplugged“ in der Bootschaft, einem temporären Kulturort in der einstigen australischen Vertretung in Ost-Berlin, geben Baumann und Voutchkova einen Einblick in die klassische Musik weiblicher Komponistinnen – von Hildegard von Bingen über Barockmusik bis zu den modernen Kompositionen einer Joanna Bruzdowicz. Die Sprünge zwischen den Epochen sind mal klein, mal ganz groß, manchmal fragmentarisch und manchmal nur schemenhaft skizziert. Baumann und Voutchkova blättern die Bandbreite weiblichen Musikschaffens auf, verzichten dafür auf Tiefe, wie Baumann im Programmflyer beschreibt – an einem 70-minütigen Abend könne man der Musik ohnehin nicht zu 100 Prozent gerecht werden. Während Voutchkova die Musikauswahl live und „unplugged“ auf ihrer Violine spielt, improvisiert Baumann, die Tänzerin, lässt ihren Körper sprechen. Worte gibt es keine.

Voutchkovas Violinspiel ist grandios! Es scheint perfekt, makellos, vollkommen. Selbst das Spielen mit einer Hand, die Violine zwischen Kinn und Schulter eingeklemmt, meistert sie ohne Probleme. Es reicht ein kurzer Blick über das Notenpapier und schon erfüllen die Melodien den Raum. Baumann stürzt sich daneben in große, wilde Bewegungen, erforscht dann ein kleines, ruhiges Gestenrepertoire. Mal tanzt sie auf dem Boden, mal wirbelt sie durch den ganzen Raum.

Dass ein paar Zuschauer während der Performance einschliefen, ist allerdings ein Symptom. Denn Baumanns Improvisationen mangelt es immer wieder an Spannung. Ihr Schulter sind durchgehend nach vorne gezogen, ihre Arme und Hände schlackern oft ihren übrigen Bewegungen hinterher. Und wozu braucht es die Requisiten – Stofffetzen, Reifenröcke, ein Haargummi aus Kunsthaar? Auch die Übergänge irritieren: Bei jedem Umbau laufen die Frauen durch den Raum, als gäbe es das Publikum nicht.

Laut Programmflyer verzichtet diese Performance auf ein Narrativ, möchte dem Publikum die weibliche Seite klassische Musik näherbringen. Nach diesem Abend aber bleibt wenig zurück: eine Melodie, eine Geste – und schemenhafte Erinnerungen an wilde Verausgabung.

Von Luiza Weiß