Im Catsuit durch die Midlife-Crisis - Performing Arts Festival Blog 2018

Im Catsuit durch die Midlife-Crisis

2. Juni 2019

KRITIKEN

Nir de Volff denkt im Dock 11 über Einsamkeit und (Selbst-)Liebe in Berlin nach.

“Do you look at old pictures of yourself and wish old times back? Do you have a depression? Do you think about hair transplant, botox and plastic surgery? Do you date people 15 years younger than yourself?“

Mit Fragen wie diesen, projiziert auf eine weiße Leinwand in einem sonst leeren Raum, werden die Zuschauer*innen zu Beginn der Performance mit ihrem eigenen Alter konfrontiert. „Love & Loneliness in the 21. Century“ von Nir de Volff / Total Brutal im Dock 11 zeigt nicht nur einen männlichen Körper in der Midlife-Crisis, sondern zeichnet vor allem ein Bild einer Gesellschaft, in der das Streben nach Jungsein und Schönheit den Alltag bestimmt und Anonymität zu Isolation und Einsamkeit führt.

Man begleitet Nir de Volff auf seinem Weg von einem Jungen in Israel bis zum heutigen Tänzer in Berlin. Staccato-artig berichtet er, zunächst als Stimme aus dem Off, später live, von seiner Kindheit, Bar-Mizwa, drei Jahren Armee („three years of emotional prison“), dem ersten Flug, Amsterdam, Tanz, Tel Aviv, Arbeit, Arbeit, Arbeit, Tanz, Arbeit, Berlin. Eine Mischung aus krampfartigen, aber gleichzeitig geschmeidigen Bewegungen bestätigen das Bild eines hin- und hergerissenen Körpers und Geistes, voller Erinnerungen, voll Trauer und Reue, Verletzungen und Enttäuschungen.

Berichtende Passagen wechseln sich ab mit intensiven Tanzsoli. Auch die Musik variiert zwischen dröhnenden Synthitönen und bekannten Popsongs, die de Volff teilweise selbst singt, teilweise eingespielt und von Videoausschnitten auf einer Leinwand begleitet werden. Das macht die Performance zu einer Achterbahn der Emotionen. Sie lässt die Zuschauer*innen lachen, wenn der Künstler von einem One-Night-Stand erzählt, der mit den Worten endete: „Danke, danke, das war sehr praktisch!“ Das Publikum darf mit Bonbons nach ihm werfen, um die Bar-Mizwa-Party nachzufeiern, die er nicht hatte und wird zum „Mitmachtheater“ mit auf die Bühne geholt. 

Auf der anderen Seite bedrücken Beschreibungen des alternden Körpers, der Wunsch nach erneuter Jugend und von Einsamkeit in der Großstadt Berlin („100 lonely souls on the dancefloor“). Immer wieder wird das Sehnen nach Liebe deutlich. Sowohl Liebe von Anderen als auch Liebe für sich selbst, für den eigenen Körper und für das Leben. 

Auch wenn der Abend mit einer absurden Tanzeinlage von de Volff im pinken Latexbadeanzug mit angeklebten Schnurrhaaren endet – dazu laufen im Hintergrund auf der Leinwand Videos von einer Katze am Keyboard – hinterlässt er ein Gefühl der Bedrücktheit. Die aufgeworfenen Fragen schwirren immer noch im Kopf herum und sind Begleiter auf dem Heimweg. Bin ich einsam? Werde ich geliebt? Genieße ich mein Leben? Eine eindringliche, teils amüsante Performance mit bitterem Beigeschmack. 

Von Greta Haberer

Foto: Jan Boeve