Tanz der Entmenschlichung - Performing Arts Festival Blog 2018

Tanz der Entmenschlichung

5. Juni 2019

KRITIKEN

Daniela Marcozzi erzählt in „Diagonal Vertigo“ vom Einsturz der Morandi-Brücke in Genua im August 2018.

PAF! Der letzte Luftballon platzt. Die Lichter verlöschen. So macht „Diagonal Vertigo“ den tragischen Einsturz der Morandi-Brücke in Genua im August 2018 auf der Bühne erlebbar. Der Abend untersucht den Einfluss der politischen Macht auf den Einzelnen und stellt die ethische Frage nach Handeln und Unterlassen.

Schauspielerin Daniela Marcozzi trägt in ihrem Solo eine helle blaue Jacke und breite Hose, die an Arbeiter der vergangenen Jahrhunderte erinnern. In ihrer rechten Hand hält sie einen Hammer, mit dem sie rhythmisch auf den Boden schlägt. Sie bewegt sich mit fragmentierten Gesten, roboterartig. So feiert ihr Tanz die Handarbeit, hebt zugleich die Entmenschlichung durch eine standardisierende Industrie hervor. Deutlich zeigt Marcozzis Inszenierung, dass sie nicht an eine individuelle Verantwortung für den Brückeneinsturz glaubt.

Im Gegensatz zur Strenge der italienischen Technik wirken die Ballons fragil. Während Marcozzi die zahlreichen Versuche der Brückenrenovierung seit 1999 aufzählt, wirft sie die Luftballons nacheinander mit den Wörtern „Antrag abgelehnt!“ auf den Boden. Die zunehmende Spannung übersetzt erfolgreich die Gefühle von Frustration und Hilflosigkeit.

Die Botschaft des Stückes ist klar: Marcozzi klagt das Unternehmen Autostrade per l’Italia an, das seit der Privatisierung der Brücke im Jahr 1999 für die Wartung verantwortlich war, diese Verantwortung aber nie wahrnahm. Nicht erwähnt bleiben allerdings sowohl die aktuelle Diskussion zwischen der Europäische Union und der populisten Koalition aus Lega und Cinque Stelle als auch die wachsende politische Dimension der Katastrophe. Dennoch bietet der Abend eine Gelegenheit, über ethische Werte und die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft nachzudenken.

Von Takayoshi Goto

Foto: Stephan Roehl