15.000 Frauen
7. Juni 2018
In „Global Belly“ erzählen Flinn Works über Leihmütter – ein Must-See auf dem Performing Arts Festival.
Zwei Frauen stehen sich gegenüber und diskutieren über das Recht der Leihmutterschaft. Ein Gefecht: Jede weiß, auf die Andere zu antworten. Beide sind stark, überzeugen mit ihrer Meinung. Lea Whitcher singt Lieder von Beyoncé, Cyndi Lauper und anderen. Sie verändert die Texte, um mit ihrer feministischen Sicht für die Leihmutterschaft einzutreten. Ihr gegenüber steht Anne Hoffmann, die einer Juristin vor Gericht gleicht. Argument um Argument bringt sie hervor, ohne sich verunsichern zu lassen. Ein Battle, das in seiner Mischung aus Sprache und Gesang höchst intensiv wird. Dann kommt Sonata hinzu, berichtet davon, wie die Leihmutterschaft indischen Frauen Macht gibt – und dreht damit die Perspektive ein weiteres Mal.
Flinn Works thematisieren in ihrer Performance „Global Belly“ die Leihmutterschaft. Der Hochzeitssaal der Sophiensaele wird unter der Regie von Sophia Stepf zur deutschen Botschaft in der Ukraine, einem Wohnzimmer in Deutschland und Amerika, einer indischen Klinik und Ort eines Skype-Gesprächs. Als Zuschauer durchläuft man die einzelnen Stationen und erfährt somit aus verschiedenen Perspektiven, was eine Leihmutterschaft bedeuten kann: Eine indische Ärztin teilt einer Leihmutter mit, dass sie mit Drillingen schwanger ist – und sie auf Wunsch der Adoptiveltern einen Embryo entfernen wird. Auf der gegenüberliegenden Raumseite spielt eine Juristin der ukrainischen Botschaft den Ablauf der Kindes- und Passübergabe nach. Offiziell hält sie sich an die Regeln, lässt das Publikum aber mit einem rhetorischen Kniff durchaus wissen, dass sie ihr Tun moralisch nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann und für die Illegalisierung der Leihmutterschaft kämpft. Alle Szenarien laufen hinter Trennwänden ab, sodass das Publikum nur im Hier und Jetzt der Situation sein kann. Es wird eingebunden, direkt angesprochen, ist Teil der Performance, mitten im Rausch der Informationen: glückliche, traurige, erschreckende.
Zu Beginn des Abends erfüllt der Gesang der vier Performer*innen den Raum, sitzt das Publikum am Rand, während in der Mitte zwei Bildschirme ein Ultraschallbild zeigen. Fragen, Antworten und Sätze sirren durch den Raum. Die Performer*innen bieten Leihmutterschafts-Pakete von All-inclusive bis VIP an, lassen die Vorzüge von Indien, der Ukraine und Amerika miteinander konkurrieren. Dazwischen läuft Matthias Renger herum und stellt den drei Frauen Fragen. Später klärt er als schwuler Mann überglücklich seine Familie darüber auf, dass er und sein Partner Philip in Amerika eine Leihmutter für ihr langersehntes Kind gefunden haben. Sie werden Eltern, endlich!
Das Hochgefühl über diesen Coup hält nur so lange an, bis der Zuschauer die Klinik der indischen Ärztin betritt. Hier wird deutlich, dass sich hinter einer freundlichen Maske und dem Versprechen „Ich habe immer für euch Zeit“ skrupellose Geldmacherei versteckt. In einem hervorragenden Performer*innen-Quartett überzeugt Sonata als Ärztin besonders. Realitätsnah, umfassend und vielseitig werden die verschiedenen Perspektiven dargestellt –Flinn Works haben gut recherchiert. Dass wegen der Vielseitigkeit manchmal die Tiefe etwas leidet, fällt nicht weiter auf.
Im Gegenteil, der Zuschauer hat einiges zu verarbeiten nach „Global Belly“. Einmal sagt eine Performerin: „Ich stelle mir vor, ich bin 15.000 Frauen.“ Die stärkste menschliche Verbindung, die es gibt, die zwischen Mutter und Kind, beleuchtet aus der Sicht von 15.000 Frauen und mehr, ist der Kern des Abends. Eine Frau in Amerika, die das größte Geschenk weitergeben möchte. Eine Feministin, die für die Körperrechte einer Frau einsteht. Eine Juristin, die all ihre Kraft für die Vermittlung von Leihmüttern aufbringen muss und nur das Verbot sehen möchte. Global Belly thematisiert direkt, echt und mitten im Geschehen, was passiert, wenn der Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht. Was bedeutet es eine Mutter zu sein? Ein Must-See auf dem Performing Arts Festival!
Nächste Vorstellung von “Global Belly” am Freitag um 17 und 19 Uhr.
von Luiza Weiß