Allein und selbstbewusst
5. Juni 2018
Die Uraufführung von Lulu Obermayers Performance „Manon Lescaut“ nach Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper von 1893 in den Münchner Kammerspielen polarisierte das Publikum. Am 6. Juni feiert sie im HAU2 Berlin-Premiere.
Lulu Obermayer wiederholt am HAU einen kleinen Ausschnitt aus Manons Sterbearie „Sola perduta abbandonata“ („Alleine, verloren, verlassen“) im Loop und wird dabei von mehreren Lautsprechern begleitet, die das Orchester durch ihre eigene Stimme ersetzen. Im Hintergrund erstrahlt ein Video, das Lulu von hinten der Wüste zeigt – wie im letzten Akt der Oper. Auf der Dachterrasse ihrer 18-köpfigen Wohngemeinschaft in Berlin-Mitte beantwortete Lulu Obermayer einige Fragen:
Wie kamst Du auf die Idee, alleine durch die Wüste zu gehen und das zu filmen?
Als Kind habe ich den Film „Out of Rosenheim“ gesehen. Ein Bild hat sich dabei besonders auf meiner Netzhaut eingeprägt: Marianne Sägebrecht läuft mit ihrem Koffer und ihrem bayerischen Kostüm durch die Wüste. Sie ist da so wahnsinnig deplatziert. Ich habe mich gefragt, inwiefern existieren Frauen alleine in so einem Frame. Ich war 2014 selber zum ersten Mal in der Wüste, in der Mojave Desert, Kalifornien. Erst hat mich Los Angeles mit der enormen Bilderproduktion total geflasht: Dieses Gefühl, dass man an jeder Ecke ein Drehbuch schreiben könnte, und dass das eigene Erleben so filmisch wird. Aber auch, als ich in die Wüste gefahren bin, habe ich gemerkt, wie aufgeladen diese Landschaft mit Geschichten ist. Diese Landschaft funktioniert als Platzhalter für Sehnsüchte und Einsamkeiten. Da gibt es eine Parallele der Wüste zum Frauenkörper.
Der auch oft als Projektionsfläche dient, besonders bei Puccinis „Femmes fatales“. Diese strahlen ihre Faszination durch ihre Unberechenbarkeit aus. Eine Frau, die sich widersetzt …
… und bestraft wird, wenn sie nicht das erfüllt, was von ihr erwartet wird. Es ist schon interessant, dass Manon Lescaut immer als eine Frau dargestellt wird, die sich nicht zwischen Luxus und Liebe entscheiden kann. Die Romanvorlage von Abbé Prévost wurde 1731 geschrieben, also vor der französischen Revolution. Da gab es für Frauen weniger Möglichkeiten und daher andere Auseinandersetzungen als heute. Sie sollte eigentlich ins Kloster kommen. Auf dem Weg dorthin macht ihr Bruder einen Stopp in einem Gasthof. Dort trifft sie auf den alten Geronte und den jungen Des Grieux. Beide begehren sie. Ob sie wirklich Lust hat mit Des Grieux mitzugehen, bleibt beim Lesen vage, denn die Geschichte wird aus Des Grieuxs Perspektive erzählt. Vielleicht macht sie es einfach, weil sie nicht ins Kloster will. Aber es einfach runterzubrechen auf den Konflikt einer Frau zwischen Juwelen hier und wahrer Liebe dort, nach dem Motto, sie könne sich nicht entscheiden, finde ich ein bisschen flach.
In der gängigen Manon-Interpretation wird es ihr zum Vorwurf gemacht, die Flucht vor der Polizei hätte geglückt, wenn sie die Juwelen liegen gelassen hätte. Dann wäre sie nicht in die Verbannung nach Nordamerika geschickt worden, wo sie dann in der Wüste verdurstet. Deine Manon hingegen trägt zwei Wasserkanister.
Ja, die tropfen und werden langsam leerer.
In der Vorlage von Manon zieht Des Grieux los, um Wasser zu holen.
Genau, und er schafft es nicht rechtzeitig.
Du aber lässt Manon ihr Wasser selber tragen.
Und gebe ihr somit die Lösung zum Problem gleich mit. Der Tod wäre nicht passiert, wenn sie Wasser gehabt hätten.
Sie legt also ihr Schicksal nicht in die Hand eines Mannes, sondern nimmt es selbst in die Hand. Das ist auch Deine Lesart von Manon?
Das ist mein Angebot. Mich interessiert, was mit der Figur Manon in ihrer Entwicklung und Rezeption über die Zeit hinweg bis heute passiert. Welche Informationen werden unbewusst und bewusst von Inszenierung zu Inszenierung weitergegeben? Wie viele „Manon Lescauts“ werden heute weltweit gespielt? Wie viele Frauen werden heute wieder auf der Bühne sterben müssen? Und wie werden diese Geschichten weitergeschrieben und letzten Endes umgeschrieben, so dass Manon vielleicht nicht mehr stirbt?
Du bist auf „Manon Lescaut“ gestoßen, nachdem Du schon ein erstes Video in der Wüste gedreht hast und nachdem Deine erste Arbeit an einer Opern-Frauenfigur mit Tosca bereits eine andere „Femme fatale“ von Puccini behandelt hat. Ist Manon Dir vom Himmel gefallen?
Diese Synchronitäten ergeben sich im künstlerischen Prozess immer wieder. Dann findet man etwas, das wirkt, als wäre es immer schon da gewesen. Ich habe da auch einen abergläubischen Zugang zum Theater. Oft ergibt es sich, dass ein Stück mich findet. Bei Manon hat mich auch nur ein Fragment beschäftigt, nur ein Drittel der Arie, wo sie über ihre eigene Situation reflektiert. Ich bin allein, verloren und verlassen.
Warum interessiert Dich nur so ein Momentzustand?
Mir kommt es darauf an, immer weiter zu reduzieren und Schichten abzutragen. Wo kann es in die Tiefe gehen? Wo ist dieses Rohe, Pure? Wo liegt die kleinste Performativität? Somit habe ich alles dezimiert und den Moment in zyklische Bewegungen und Wiederholungen ausgedehnt, um einen Raum für Reflexion an sich zu bieten. Ich blieb dann irgendwann nur noch beim Akt des Singens der 36 Takte zusammen mit den zwölf Lautsprechern, die jeweils ein Instrument des Orchesters durch meine Stimme ersetzen.
Ist diese Musiktheater-Performance dann nicht eher eine Installation?
Das halte ich gerne offen. Ich fände es auch interessant, die Arbeit in eine Galerie zu transplantieren, wie unter anderen die Tanzcompany Rosas von Anne Teresa De Keersmaeker, die mit der Performance “Work/Travail/Arbeid” auch ins MoMA gegangen sind. Vielleicht ist es auch eine Generationsgeschichte. Ich finde es total unproblematisch eine Arbeit aus dem Theater in eine Galerie oder ins Museum zu setzen oder umgekehrt. Man reflektiert ja immer Medium und Kontext.
Vor allem, weil sich die Kunstformen ja immer weiter vermischen und annähern. Wenn man eine Musiktheater-Performance ankündigt, existiert eine gewisse Erwartungshaltung und in einem Museumskontext hat man mehr Laufkundschaft.
Für mich ist es aber auch wichtig das einzufordern, dass Leute sich das eine Stunde anschauen und sich darauf einlassen. Ich bin gespannt wie das im HAU sein wird, aber in den Kammerspielen in München sind einige Leute rausgegangen, weil sie es nicht ausgehalten haben. Die Leute haben geschimpft und sich gegenseitig zurechtgewiesen. Das war total angespannt und intensiv, denn ich habe nicht erwartet, dass es bei Manchen so einen Widerstand produziert. Aber ich finde es auch gut, dass sich das Publikum so klar positioniert.
Die Kammerspiele polarisieren derzeit ja sowieso so stark.
Das habe ich auch so empfunden. In München ist das Publikum sehr direkt, das war schon immer so. Ich denke da an „Othello“ von Luk Perceval 2003, das war ein Aufschrei! Die Sehgewohnheiten sind andere. Gefördert wurde „Manon Lescaut“ durch die „Debütförderung Tanz“ und dann steht da aber der Titel einer Oper und dann wird etwas ganz anderes erwartet.
Beim letzten Performing Arts Festival hast Du bereits eine andere Musiktheater-Performance gezeigt.
Ja, dort lag ich “tot” auf dem Boden, während zehn verschiedene Opernfrauentode von dem DJ/Tänzer/Choreographen Justin F Kennedy gemixt wurden. Unsere Gesellschaft geilt sich gerne an einem weiblichen Tod auf der Bühne oder der Leinwand auf. Diese Ästhetik des toten Frauenkörpers bereitet den Leuten so ein großes Verlangen. Was hat es damit auf sich? Obwohl diese Frauen in der Oper sterben, hört sich das nicht danach an. Es ist eine große Kunst in der Oper zu sterben. Mich hat interessiert, das mit dem Method Acting Ansatz zusammenzubringen, also wie diese pure Emotionalität auf die Bühne kommt. Wie kann sich das über die Stimme vermitteln?
Könntest Du Dir vorstellen, dass Deine Manon auch einmal von einer professionell ausgebildeten Sängerin dargestellt werden könnte?
Momentan interessiert mich meine eigene Stimme. Ich nehme seit zwei Jahren wieder Gesangsunterricht, aber die Stimme begleitet mich seit Langem. Mit sechs Jahren habe ich angefangen im Chor zu singen, und letztlich mache ich jetzt mit den Lautsprechern meinen eigenen Chor. Aber ich fände es spannend mit Opernsängerinnen zusammenzuarbeiten in Zukunft und bin auch offen Regie zu führen. Gerade schicke ich mich durch meine eigene Schule. Ich recherchiere den Kern meiner künstlerischen Praxis und so ist es für mich interessanter, wenn ich sie erst einmal für mich artikuliere und exerziere.
Inwiefern?
Je mehr Leute in ein Projekt involviert sind, desto klarer muss die Umsetzung des Konzepts zu Anfang schon sein. Ich habe wenig Interesse ein Stück zu entwickeln, bei dem ich im Vorhinein schon weiß, was es sein soll. Ich hätte nie gesagt, in „Manon Lescaut“ möchte ich eine Stunde im Kreis laufen. Das war eine Entscheidung, die aus allen Gegebenheiten so getroffen worden ist. Ab einem Punkt entscheidet die Arbeit, was man macht und nicht man selbst. Man sitzt da nicht am Schreibtisch und hat eine Eingebung, sondern die Bühne, das Material, die Erfahrung, alles was ich mitgebracht habe, alle “Hausaufgaben” die ich davor erledigt habe, fügen sich dann zu der Quintessenz davon. Und jetzt muss ich das halt machen.
Lulu Obermayer ist eine vielseitige Künstlerin. Geboren 1989 in München, zog sie mit 16 Jahren in die USA, um u.a. am renommierten Lee Strasberg Institute zu studieren, wo sie in die Method Acting Technik eingeführt wurde. Anschließend studierte sie Performance in Schottland und machte einen MA Solo Dance and Authorship in Berlin. Dieses Jahr wird Lulu Obermayer als Introducing-Artist beim Performing Arts Festival Berlin vorgestellt.
von Ludwig Obst