„Art is an act of resistance”
10. Juni 2018
Jérémie Pujau stellt mit seinem “Manifesto“ kritische Fragen an die Kunst und an sich selbst.
„Everything that doesn´t confront the world as it is supports it. Nothing is neutral. Art is an act of resistance.” Mit diesen Worten beginnt Jérémie Pujaus „Manifesto“. Also: der Text. Aber vor allem die Performance – der Raum, die Installation, der Text, der Sound, sein Handeln, die Übertragung im Internet. Alles fügt sich hier zusammen zu einer kafkaesken Performance, die die Kunst in ihren Absichten hinterfragt und in der Pujau sich selbst und seine Rolle als Künstler reflektiert.
Die Performance, die im Vexer Verlag Büro Berlin am 6. Juni stattfindet, dauert neun Stunden. In diesen neun Stunden sitzt Pujau an einer Schreibmaschine und verfasst sein Manifest. Dabei wird er durchgehend gefilmt, das Ergebnis wird in den folgenden Tagen als Videoinstallation im selben Raum zu sehen sein. Da liegt der fertige Text dann mehrfach kopiert und zusammengetackert zum Mitnehmen auf dem Boden.
Nichts hier wurde seit der Performance verändert. Alles ist weiß: die Wände, der Boden, der Schreibtisch, der Stuhl, die Schreibmaschine. Die grellen Neonröhren verleihen der Szene etwas Steriles. Nur der Künstler trägt Schwarz. Links in der Ecke steht ein Kopierer, an der Wand hängt auf einem Bügel ein weißes Hemd, eine schwarze Anzughose und ein Paar schwarzer Schuhe. Neben der Schreibmaschine finden sich ein Rasierer, ein Lineal, ein Wörterbuch und die Bände „Portrait de l´artiste en travailleur“ von Pierre-Michel Menger und „Penser dans un monde mauvais“ von Geoffrey de Lagasnerie, auf die Pujau im Text eingeht. Das Tippen auf der Schreibmaschine hallt durch den kleinen Raum. Man kann dem Künstler zusehen wie er sich ärgert, unzufrieden ist, nicht weiter weiß oder in einen Schreibfluss kommt.
Pujau formuliert klar seinen Widerwillen gegen die Welt. Die Flüchtlingskrise, Klimawandel – so vieles läuft falsch. Aber was kann man tun? Und vor allem: Was kann Kunst leisten? Was heißt es, Künstler zu sein, links? Alles was ihm in den Kopf kommt, schreibt er nieder, ein Gedankenfluss, der Hannah Arendt zitiert und Ai Weiwei kritisiert. What makes art art today? Es hat den Anschein, als beschäftige und frustriere ihn so viel, dass es ihm schwerfällt, alles niederzuschreiben. So viele Themen werden angerissen, aber nicht weiter ausgeführt. Letztlich macht das den Charakter eines Manifests aus: keine großen Erklärungen, nur Denkanstöße. Auf Seite Neun formuliert er schließlich seine eigene Verwirrung: „Honestly now I´m a bit lost. I thought I had IT. I think I had it. I was so close. I´m not giving up. I can´t.”
Auch wenn der Text von einem Künstler für Künstler geschrieben ist, dürften die Fragen auch jeden anderen beschäftigen. Denn es sind weltbewegende Fragen: Was kann ich tun? Angenehm ist es, etwas so Klares zu lesen, frei von Geschwafel und Belehrung, etwas, das anstoßen will. Für Pujau ist es eine Pflicht, Kunst zu machen, zu versuchen, etwas damit zu bewegen. Er hofft, dass seine Worte verständlich sind: „Art is a necessity. I would explode if I couldn´t do it.”
Am Ende der neun Stunden rasiert er sich die Haare und den Bart. Um sich zu befreien. Um die Belastung und Frustration abzustreifen. Die Haare befinden sich nun in einem Gefäß in einer Vitrine neben seinem Text. Sie symbolisieren das Ende der Performance, aber seine Arbeit ist nicht getan. Er hatte nie vor, irgendetwas zu beenden an diesem Tag. Die Fragen sind offen. Sie liegen jetzt bei uns.
von Greta Haberer