Auf der Suche nach Glückshausen
6. Juni 2018
Chang Nai Wen lädt mit ihrer Gruppe Sisyphos, der Flugelefant beim PAF zu einem immersiven Spiel über Heimat ein.
Berlin, Stresemannstraße 95, 16. Stock in der ZUsammenKUNFT, eine Erstaufnahme-Notunterkunft für Geflüchtete in Kreuzberg. Chang Nai Wen öffnet die Tür mit einem Strahlen auf dem Gesicht. Sie und ihr Team sind mitten in der Besprechung einer Szene. Endproben von „Es wird einmal…“, ein Gemeinschaftsspiel entwickelt von Sisyphos, der Flugelefant (SdF). Nai Wen, die künstlerische Leiterin des Teams, schlägt spontan vor, dass sie die Szene einmal mit mir als Testpublikum durchführen könnten. Sie verschwindet hinter einem Vorhang in einem kleinen Raum. Nachdem sie sich kurz mit ihren Kolleginnen bespricht, werde ich von Nai Wen hineingeführt. Ein kleines, komplett abgedunkeltes Zimmer erwartet mich. Hinter einer Leinwand steht eine stumm gestikulierende Person, von der nur der Schatten sichtbar ist. In der Luft liegt etwas Geheimnisvolles, Verschwörerisches. Der Hinweis, den man für diese Station bekommt, lautet: Singt Dunya ein Lied, damit ihr ihres erfahrt.
Nai Wen und Sibille, die Dunya spielt, stellen mir nach dieser Szene Fragen: Wie wirkt die Atmosphäre im Zimmer? Was gibt mir den Impuls, mein Schweigen zu brechen und den ersten Ton anzustimmen? Lädt das Mikrofon im Raum ein, an es heranzutreten?
„Es wird einmal…“ ist der zweite Teil der Heimat-Trilogie. Er stellt die Frage: „Können wir eine gemeinsame Heimat gestalten, auch wenn wir so unterschiedlich sind?“ Der Prolog „You and Me and Us“ thematisierte bereits die „Reise nach Glückshausen“. Sie entstand in Workshops mit den Kindern, die im Haus der ZUsammenKUNFT leben und die ihre Vorstellungen einbrachten.
Nun hat Sisyphos, der Flugelefant die Idee weitergesponnen zu einem installativen interaktiven Theaterspiel ohne die Kinder als Akteur*innen. Als mich Nai Wen durch den Spielort führt, spricht sie über ihr Projekt. Die kleine Welt von „Es wird einmal…“ besteht aus verschiedenen Stationen, durch die die Spieler*innen das Publikum geleiten werden: die zerrissene Stadt, Miras Küche, Amos’ Souvenirshop. Gemeinsam sollen die Zuschauer*innen von Station zu Station verschiedene Aufgaben lösen auf der Suche nach Glückshausen.
Ins Leben gerufen wurde die Gruppe SdF von Chang Nai Wen 2008 in Berlin. Für ihr Regiestudium in Hamburg kam sie sechs Jahre zuvor nach Deutschland. SdF ist eine Künstlergruppe, die sich projektabhängig in unterschiedlichen Konstellationen zusammenfindet. Die Gruppe macht sich das interaktive Theater zunutze, um die Distanz zwischen Bühne und Zuschauer aufzulösen und Begegnungen zu fördern, sich auf Augenhöhe zu begeben.
Es herrscht emsiges Treiben im 16. Stock, die Kulisse wird noch fertiggestellt, die Geschichte noch in Einklang gebracht. Auf der ganzen Etage läuft man unweigerlich in einen der Mitwirkenden bei der Arbeit. Noch ist die kleine Welt im Entstehen, nimmt aber schon deutliche Formen an.
Wer diese Welt kennenlernen möchte, kann in die ZUsammenKUNFT am 07. bzw. 08. Juni jeweils 10 oder 18.30 Uhr oder am 09. Juni um 16 Uhr kommen. Aber Achtung, der Abend ist immersiv: „Das ist kein Zurücklehnen und dann zugucken, was vorne passiert.“ Wie das Leben.
Von Thu Ngoc Trinh