Champagner!
19. Juni 2017
„Blanche“, eine Soloperformance frei nach Tennessee Williams im Theater auf dem Holzmarkt.
„Ich hasse nackte Glühbirnen“, schreit Blanche. „Deswegen habe ich einen Lampion gekauft. Könntest du mich mal eben hochheben, damit ich die Lampe an der Decke befestigen kann?“, fragt sie meinen Freund Louis, der mich zu dieser Performance des PAFs begleitet. „Und jetzt stell dir vor, wir sind in Paris. Setz dich. Wir haben uns gerade erst getroffen. Ich habe eine verrückte Idee: Wie wäre es, wenn wir uns jetzt küssen würden?“ Louis zögert nicht, sie hochzuheben. Zum Kuss sagt er Nein.
Zur Belohnung gibt es ein Glas Champagner in Sabrina Strehls Soloperformance „Blanche“ im Theater auf dem Holzmarkt frei nach Motiven aus Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“. Blanche ist eine schöne, schlanke Frau im weißen Bademantel. Zwischen einer sonnengelben Badewanne, einer Kleiderstange und ein paar gefüllten Plastiktüten wartet Blanche unruhig. Auf die Zuschauer*innen oder auf eine bestimmte Person? Dann und wann gießt sie heißes Wasser in die Wanne.
Blanche ist zu Besuch bei ihrer Schwester Stella, die einen starken, männlichen Polen geheiratet hat. Sie erzählt vom gemeinsamen Anwesen, von dem ihre Schwester geflohen ist. Sie jedoch musste alle ihre Verwandten sterben sehen. Das Leiden des Todes all ihrer Verwandten begleiten und tragen. Nun ist sie hier, in der Wohnung und wartet. Gebrandmarkt von ihrer Vergangenheit und auf der Suche nach einem Ausweg. Sie ist eine Romantikerin, eine Diva, eine Geisteskranke. Sie ist eine Künstlerin der Verkleidung und der Täuschung. Und dennoch bröckelt ihre Maske, sie bricht.
Mit einer blonden Perücke und einem schimmernden Paillettenkleid animiert sie das Publikum mit ihr zu feiern, lässt einen Herrn aus dem Publikum den Korken knallen, bittet um eine Zigarette und um Feuer. Zusammen trinken wir Champagner und lauschen ihrem Kopfchaos. Plötzlich möchte sie nicht mehr feiern, stürzt ab: Sie schlüpft in ein zerlöchertes Hemd und reibt sich mit Badeschlamm ein. Bald sieht sie aus wie eine Irre, die in der Wildnis lebt. In einem Moment erzählt sie von alten Liebesgeschichten, im nächsten Moment flirtet sie mit Männern aus dem Publikum.
Mein Freund gefällt ihr ganz besonders. Er zündet ihre Zigarette an, sie richtet ihr Wort an ihn. „Louis, weißt du wie das ist?“. Sie bittet ihn auf die Bühne, spielt mit ihm, fordert ihn heraus. Sobald sie seine Grenzen erkennt, entlässt sie ihn wieder zu seinem Sitz. Das Publikum schmunzelt und lacht. Louis erntet Applaus.
Der Ding Dong Dom im Holzmarkt 25 besteht aus alten Fenstern. Die Wände knarren, wirken zerbrechlich. Holz und Glas bilden ein glitzerndes Mosaik an der Decke. Vor der Tür tobt das Leben. Hunderte Menschen trinken Bier, sitzen um das Lagerfeuer, vergnügen sich mit Pizza und Wein oder wandeln durch den Irrgarten des liebevoll gestalteten Ortes. Dass die Geräusche, die durch die Bretterwand dringen, nicht stören, liegt an Sabrina Strehl, die als Blanche die Spannung steigert. Sie redet und spielt sich um Kopf und Kragen. Wenn auch schüchtern und verhalten, spielen wir alle mit.
Blanche erzählt weiter ihre Geschichten und malt sich ein Bild von der Zukunft aus. Auf der Suche nach einem Mann trifft sie immer wieder auf Ablehnung. Als ihr gesponnenes Netz aus Lügen und Fantasien reißt, sinkt sie in die Badewanne und droht zu ertrinken. Mit letzter Kraft bittet sie einen der Zuschauer, ihr aus der Wanne zu helfen. Sie verlässt uns erhobenen Hauptes.