Da fehlt was
7. Juni 2018
Cristina Costes, Heike Licht, Larissa Gorn, Lena Sänger, Luisa Mell und Luisa Scholz von der Gruppe MamArt zeigen unter der Spielleitung von Johanna Giertz „Mit oder ohne“. Im Theater Expedition Metropolis spielen sie ihr Stück über Mutterschaft: Mit oder ohne Kind? Mit oder ohne Sicherheit? Mit oder ohne Haus? Mit oder ohne Geld? Thu Ngoc Trinh und Aïsha Mia Lethen Bird im Kritik-Gespräch über ehrliche Momente, überfordernde Szenen und aufkommende Fragen.
Aïsha: Thu Ngoc, wir waren gerade in „Mit oder ohne“ von MamArt im Theater Expedition Metroplis. Wie war der Abend für dich?
Thu Ngoc: Ich habe gemischte Gefühle. Einerseits ist „Mit oder ohne“ sehr liebevoll inszeniert, die sechs Frauen auf der Bühne sind starke Darstellerinnen (angekündigt waren neun). Ich mochte den Kontrast, den die knallig bunten Kleider der Spielerinnen, vereinzelt auch ihre Glitzertrikots darunter zur leeren Bühne bildeten. Andererseits fehlte mir was. Ich mochte, dass sie Klischee-Heteronormativ-Mütterlichkeit aufgreifen, indem sie sie ausspielen. Aber Mütterlichkeit, die außerhalb dieses Rahmens funktioniert, wird nur am Rande erwähnt und dann nicht mehr aufgegriffen.
Aïsha: Vor allem zu Beginn reißen sie viele Themen an, die für mich nicht weit genug gedacht wurden. Teilweise wirkte es fast so, als würden sie ein Verständnis von Mütterlichkeit fernab von heteronormativen Strukturen nur erwähnen, um es einmal gesagt zu haben – im Laufe des Abends jedenfalls bewegen sie sich nur in diesen Strukturen. In der Ankündigung schreiben sie jedoch auch, dass die eigenen Biografien der Spielerinnen der Stückentwicklung zugrunde liegen – das würde das Ganze vielleicht erklären.
Thu Ngoc: Sie stellen sich auch in ihren Mutterrollen vor, das wirkte sehr persönlich. Nur eine ist (noch) keine Mutter. Als Einstieg reihen sie die ganzen stereotypen Fragen zum Mutterwerden und -sein aneinander, die die biologische Frau so gestellt bekommt, sehr sturzflutartig, informationsüberladen. Das fand ich passend. Schon als die Zuschauer*innen noch Plätze suchten, konfrontierten sie einzelne Personen mit diesen Fragen. Du warst eine davon, wie war das für dich?
Aïsha: Mir hat dieser offene Einstieg gefallen. Das passte thematisch, hat eine schöne Atmosphäre geschaffen und war – zumindest in diesem Rahmen – amüsant: Bist du Mutter? Willst du Kinder, warum hast du keine Kinder? Willst du drei, fünf oder zwölf Jahre zu Hause bleiben? Magst du Mütter und Kinder, magst du Orte wie Spielplätze? Oder stören Kinder dich? Magst du Kinder überhaupt? Gleichzeitig steigen sie so direkt mit dem Druck ein, mit dem die Gesellschaft viele Menschen konfrontiert. Dieser Druck zieht sich durch den ganzen Abend. Da drängt sich in vielen Momenten die Wut der Spielerinnen in den Raum. Das war stark und ehrlich. Aber da kann sich wahrscheinlich auch nicht jede*r mit identifizieren…
Thu Ngoc: Ja, das war auch das Grundproblem des Abends. Die Spielerinnen kämpfen mit dem Druck, der auf Mütter ausgeübt wird, und setzen sich auch mit dem Konflikt auseinander, den junge Frauen durchleben, die das „Mutteralter“ erreicht haben, aber (noch) keine sind. Aber was ist mit nicht-biologischer Mutterschaft? Sie streifen sie kurz – Ziehmütter, keine klar „weiblichen“ Mütter, Elternschaft statt Mutterschaft –, aber dabei bleibt es. Nur ein Streifen, kein wirklich greifbares Annähern an das Thema. Es könnte natürlich sein, dass sie keinen Kampf darstellen wollen, dem sie selbst in ihrer eigenen Biographie nicht ausgesetzt waren. Ist das Konzept sonst für dich aufgegangen?
Aïsha: Innerhalb des heteronormativen Rahmens schon, ja. Aber diese normalternativen Konzepte fehlen, wie Leihmutterschaft – ein Thema, das in Global Belly, das wir im Anschluss gesehen haben, klug verhandelt wird. Persönlichkeit steht bei „Mit oder ohne“ im Vordergrund. Ich habe deutlich gespürt, wie dieses Thema die Spielerinnen beschäftigt. Sie schaffen mit ihrer Performance einen offenen Zugang. Besonders stark sind dabei die Momente, in denen sie alle gemeinsam spielen oder eine persönliche Geschichte im Fokus steht. Die sind kraftvoller als die, in denen die Bühne überladen ist von Bewegungen. Szenen, in denen eine erzählt, während andere tanzen und wieder eine andere Stichwörter des Gesprochenen mit Kreide auf den Boden schreibt, das wiederum eine andere filmt, schwächt die Kraft des Gesagten ab. Hat dich die Ästhetik angesprochen?
Thu Ngoc: Ich fand das Bild schön, dass Spielerinnen quasi wortwörtlich zwischen diesen ganzen fachlichen Diskursen, die angerissen werden, ihren Balanceakt meistern müssen – empfand es aber auf jeden Fall als ein Zuviel von Informationen. Die Theorien über Mütterlichkeit von verschiedenen Erziehungswissenschaftler*innen waren interessant, der Ost-West-Vergleich für Heike Licht von Bedeutung, die Szene dauerte aber zu lange.
Aïsha: Vielleicht war das aber auch so gewollt. Wir waren als Zuschauer*innen ähnlich überfordert mit diesem Informationsstrom, wie sie mit den Fragen und dem Druck der Gesellschaft. Und dieser Druck, diese Überforderung war ja durchaus dauerhaft präsent und ein Leitmotiv des Abends.
Thu Ngoc: Mich hat angesprochen, wie sie tänzerisch die Überforderung der einzigen Nicht-Mutter mit dem ganzen Muttersein darstellen. Die Mütter werden in ihren durchgetakteten Bewegungschoreographien immer schneller und schneller, die Nicht-Mutter kommt nicht mehr hinterher, bis sie sie endlich mit einem Schrei unterbricht. Sie hätte das aber ruhig früher beenden können. Sind dir denn bestimmte Szenen im Kopf geblieben?
Aïsha: Das war wirklich ein schönes Assoziationsbild. Ähnlich schön wie das Ende: Die Frauen stellen sich mit ihrem Namen vor. Sie sind Luisa, Cristina, Heike, Larissa, Luisa und Lena. Und eben nicht nur Mütter. Dagegen hat ein anderer Moment Fragen bei mir aufgeworfen: Irgendwann steht Cristina Costes vor dem Mikro und liest aus ihrem Mutterpass vor. Die anderen Darstellerinnen sitzen am hinteren Bühnenrand und hören ihr aufmerksam zu. Im Raum ist es still. Sie liest mit einem Lächeln die Untersuchungsergebnisse vor. Bis sie stockt, ihr Gesichtsausdruck sich verdunkelt: „Risiko für Trisomie 21: 1 zu 2.“ Sie spielt das Gespräch mit dem behandelnden Arzt durch. 9 von 10 Frauen entscheiden sich in dieser Situation dafür, die Schwangerschaft abzubrechen. Und dann ist Schluss. Sie klappt das Heft zu, geht nach hinten. Die Atmosphäre ist bedrückt. Und die Musik dem angepasst. Wie hast du diese Szene wahrgenommen?
Thu Ngoc: Da bleibt ein ungutes Gefühl im Bauch. Wobei ich sagen muss, dass ich das auf das Arztgespräch zurückgeführt habe. Der Arzt, den Cristina Costes wie im Selbstgespräch zitiert, wirft diese Schwangerschaftsabbruchstatistik in den Raum mit der Anmerkung: „Falls es Ihnen hilft.“ Was soll das helfen außer dass er sie suggestiv-„wohlwollend“ in eine Richtung drängt?
Aïsha: Vielleicht war mir genau diese Inszenierungsentscheidung zu offen. Dieses ungute Gefühl ist geblieben, mehr nicht. Ob vom Arzt oder sonst wem. Ich hätte mir da mehr Klarheit gewünscht, aber auch insgesamt am Abend. Wie wollen sie, wie wollen wir denn Elternschaft neu denken? Wie können wir gegen diese Stereotype kämpfen? Sie aufzuzeigen ist bestimmt der erste Schritt, aber wo bleibt der zweite?
Thu Ngoc: Der fehlt.