Danke, V-Effekt - Performing Arts Festival Blog 2018

Danke, V-Effekt

10. Juni 2018

KRITIKEN

In „Theater ohne Probe – im Sinne von Brecht“ in der Brotfabrik improvisieren die Schauspieler ein Stück über Themen des Publikums.

Charles und Dr. Schmidt diskutieren intensiv und wortgewaltig über die Weiterführung ihrer neu gegründeten Partei. Eine Schauspielerin steht ungeduldig am Rand, wartet darauf, dass sie die Szene beenden und eine neue beginnen kann. Nichts passiert. Also ergreift sie die Initiative, schnappt sich eine rote Mütze von der Garderobe, entert die Bühne, fegt den Hut von Charles’ Kopf, ersetzt ihn durch die Mütze – schon ist ein neuer Charakter geboren, kann die nächste Szene beginnen. 

Bei „Theater ohne Probe – im Sinne von Brecht“ in der Brotfabrik improvisieren Sören Boller, Susanne van Dyk, Jonas Fischer und Uta M. Walter ein Stück. Was gespielt wird, entscheidet das Publikum. An diesem Abend besteht es aus nur vier Menschen, die sich für die Themen Wahrheit und Lüge in der Politik sowie die Liebe entscheiden. Dann weisen die Schauspieler auf das mit weißem Klebeband gekennzeichnete Viereck am Boden hin, das die Spielfläche markiert: Wenn sie sie betreten, schlüpfen sie in eine Rolle. Verlassen sie sie, sind sie wieder sie selbst. Zwei mal nutzen sie die Möglichkeit, an der Rampe eine persönliche Geschichte zu erzählen, die zum Thema passt – oder über Foucaults Wahrheits-Theorie zu sprechen. Ein Verfremdungseffekt, klar. Bertolt Brecht steht ja schon im Titel Pate.

Die Schauspieler, die sich in die erste Szene stürzen, prägen damit den Rest des Abends: eine Situation in einem Unternehmen. Stühle und die paar Kostüme an einer Garderobe neben der Spielfläche sind die einzigen Requisiten, die ihnen dabei zur Verfügung stehen. So hangeln sich die Schauspieler von Szene zu Szene, weben in die Haupt- eine Nebenhandlung, kreieren Probleme, Verstrickungen, Verwirrungen – alles aus dem Moment heraus, dabei erstaunlich stringent, unterhaltsam, komisch. Nach einer Stunde und zehn Minuten Pause geht’s nahtlos weiter. Nur manchmal wird klar, dass hier weiterhin alles improvisiert ist, etwa wenn die zwei Schauspieler sich darüber uneinig sind, welche Figuren nun auftreten sollen, während die Schauspielerin aufs Ende der Szene wartet.

Bewundernswert, wie das Team auf der Bühne die Zuschauerthemen aufgreift und verwandelt! Und zwar so, dass durchaus spannende Momente entstehen, die Verhandlung um Wahrheit und Lüge sogar zum Gesellschaftsspiegel wird. Selbst tiefere Gedanken finden ihren Eingang, nicht gerade selbstverständlich für ein Improtheater – dem V-Effekt sei Dank.

Von Franziska Hansen