Der Apfel der Zwietracht 2.0
11. Juni 2018
Contra: Worum geht es eigentlich in „Cyborg-City / die Schlacht um Troja.kon“?
Am Ende liegen sich die Schauspieler*innen in den Armen, ihre Kostüme aus Luftpolsterfolie knacken. Ein kurzer, irritierter Blick, dann zerren und reißen sie sich die Uniformen vom Leib, türmen sie im Backstage-Bereich des Berliner Kühlhauses zu einem Berg, hüpfen darauf wie auf einem Federbett. Letzte Vorstellung, alles muss raus – da erlauben sich die Performer*innen einen Dernierengag, der vermutlich nicht für Publikums-Augen bestimmt war.
Dennoch: Nichts zuvor in „Cyborg-City / die Schlacht um Troja.kon“ war so warm, so ausgelassen wie dieser Moment: Auf drei Ebenen hatte das Ensemble vom cyborg performing theater unter der Regie von Anne Sylvie König und Rolf Kasteleiner eine schroffe Parallelwelt geschaffen, ein begehbares Internet. Im Spiel gibt es klare Regeln: Jede*r Zuschauer*in wird einer Kleingruppe zugeteilt und durchschreitet unter Anleitung von Schauspieler*innen mehrere Räume. Es gilt, Aufgaben zu erfüllen, Punkte zu gewinnen, Fertigkeiten zu erlernen. Erst danach kann der nächste Raum, das nächste Level, erspielt werden. Alle Schauspieler*innen kreieren fesselnd mit zuckenden Bewegungen und sich wiederholenden Spielanweisungen im Stil einer defekten sprechenden Puppe das Bild maschineller Künstlichkeit: „Trigger mich an! Trigger mich an!“.
Am Ende steht – natürlich – eine Schlacht. In ihr kämpfen Cyborgs gegen Troja.koniken, also Publikum gegen Publikum. Allerdings kommt es nur selten zu einem direkten Aufeinandertreffen zwischen den beiden Gruppen, was schade ist: Die meisten Spielzüge laufen über die Programme ab, die unter dem Namen antiker Helden von den Schauspieler*innen verkörpert werden. Hier nistet Verwirrung: Hektor kann man sich noch merken, aber seine Programmfunktion entfällt komplett. Zwar tragen die Schauspieler*innen ihre Texte mitreißend vor, stiften damit aber allenfalls Verwunderung – und die hallende Akustik des großen Saals hilft kein Stück.
Die erste Spielrunde ist so schnell vorbei, dass die Gruppen nicht wissen, wer gewonnen hat. In der Irritation geht völlig verloren, warum der Cyberkrieg überhaupt stattfindet. Irgendwie geht es um das Helena-Programm, das alle haben wollen. Im Gegensatz zu Achill und anderen Schwergewichten der griechischen Mythen tritt Helena nie in Erscheinung: Sie bleibt ganz Mythos. An ihrer Stelle glänzt ein grüner Apfel – ein echter, anders als der goldene, mit dem Paris Aphrodite zur lieblichsten Göttin erkor, um anschließend mit ihrer Hilfe Helena aus Griechenland zu rauben und nach Troja zu bringen.
Um was aber spielen wir in Cyber-City eigentlich? Um einen Apfel? Am Ende sind alle gelinkt: Die Troja.koniken, die Cyborgs, sogar die Programme. In dem Moment, in dem sie alle auf das Helena-Update hoffen, werden sie gehackt. Wenn die Zuschauer*innen und Ex-Gamer das Kühlhaus verlassen, sollen sie Helena-infiziert sein. Was das bedeutet, erfährt man nicht und wankt verloren um die Ecke: Dann sind da die feiernden Schauspieler*innen nach der letzten Show und tanzen. Sie werfen ihre Plastik-Identitäten ab und lassen Luftpolster zerplatzen. Das ist zunächst genauso surreal wie die Schlacht in Cyber-City. Aber plötzlich macht es wahnsinnig Lust auf Realität.
Von Mareike Dobberthien