„Dich ficken will ich!“ - Performing Arts Festival Blog 2018

„Dich ficken will ich!“

11. Juni 2018

KRITIKEN

Verstörung im öffentlichen Raum: „I am reality“ von die elektroschuhe.

Sie steht da im zerfetzen Hochzeitskleid, er in Leopardenboxershorts. Sie schlagen sich gegenseitig mit einer lebensgroßen Matratze, die in einer Plastikhülle steckt. An einem Punkt des Kampfes trifft er sie schwer, es wird still. Sie fragt ihn, was er von ihr will? Er antwortet: „Dich ficken will ich!“. Sie schreit. Er will telefonieren, aber sein Handy ist während des Kampfes kaputtgegangen. Er versucht es in einer Telefonzelle. Vergebens. Er hört Stimmen, die aus einem selbstgebastelten Lautsprecher an der Telefonzelle kommen und dreht durch.

Was passiert, wenn das Handy, diese Lebensader der Gegenwartskommunikation, kaputtgeht? Entzugserscheinungen? Wird man dann zum Monster? Und genau um diese Fragen kreist die 20-minütige Performance „I am reality“ von Ini Dill und Daniel Drabek (die elektroschuhe), die sich beim Performing Arts Festival 2018 im Eingangsbereich des Poco-Möbelmarktes am Blücherplatz in Kreuzberg ereignet. Es geht um eine Beziehung zwischen Virtualität und Realität und um die zweite Identität im Internet. Die Möglichkeiten, was man alles sein kann oder was man im echtem Leben in der Realität nicht sein kann. Eine Tinder-Beziehung, die alles perfekt matcht. Betrachtet man jedoch die Umwelt, fällt einem die Abhängigkeit zum Handy auf.

Der Kampf des Paares erinnert an einen Tanz von genau abgestimmten Körperabfolgen. Neben einer kleinen selbstgebastelten Lautsprecheranlage und der Matratze gibt es kaum Requisiten. Stattdessen funktionieren Dill und Drabek ihre Kleidung um: Sie rollt ihr Hochzeitskleid ein, stopft es in ein T-Shirt, trägt jetzt eine golden-farbige Leggins. Die Verwandlung in Monster veranschaulichen sie, wenn sie sich ein rosafarbiges Tuch mit dem Motiv eines offenen Gebisses und ein schwarzes T-Shirt mit Skelett-Motiv übers Gesicht ziehen. Beide entblößen sich im Laufe der Performance und gleichen sich immer mehr aneinander an.

© Cindy Dodaro

Aufregend sind die Reaktionen im öffentlichen Raum. Das Wechselspiel zwischen Exhibitionismus und Scham lässt die Zuschauer ihr voyeuristisches Potenzial erleben. Eine Prise Fachpublikum steht da, gemischt mit schaulustigen Passanten jeder gesellschaftlichen Schicht. Einige verwirrt, andere abgeneigt, viele interessiert. Anfangs herrscht Unsicherheit, flüstern sich Passanten einander die Frage zu, ob das, was gerade passiert, real ist oder nur Theater. Nach kurzer Zeit wird klar: Das ist Show. Genau das besitzt Relevanz für Drabek, wie er im anschließenden Gespräch sagt: „Für uns ist es wichtig, im öffentlichem Raum ein Thema zu wählen, das die Menschen anspricht – wie Beziehungskriege. Das Schönste hier sind die Reaktionen der Menschen, die stehenbleiben und sich denken: Was passiert hier? Das gibt’s leider nicht mehr so oft, dass die Menschen ihre Umgebung bewusst wahrnehmen und ihr Handy aus der Hand legen.“

Die Matratze symbolisiert für ihn die Privatsphäre: „Wir wollen uns in der Matratze verstecken, ganz privat sein, uns in der Matratze vergnügen. Aber diese Privatsphäre existiert in der virtuellen Welt nicht. Man gibt was im Internet ein und bekommt ein Echo zurück. Dieses Echo ist man selbst. Das ist mit einer Beziehung vergleichbar: Am Ende ähnelt man seinem Partner immer mehr, weshalb wir beide am Ende der Performance blonde Haare und einen Bart tragen.“

Also leg doch mal das Handy aus der Hand und schau dich um, was alles in deiner Umgebung passiert! Vielleicht entdeckst du einige Stationen vom PAF 2018 und lässt dich vom Rausch einiger Performances inspirieren.

von Cindy Dodaro