Ein paar Geschichten im Gepäck
6. Juni 2018
„Yousef war hier“ verhandelt eine Außen- und Innenperspektive auf die Situation in Syrien. In der dritten Zusammenarbeit von Lydia Ziemke mit suite42 und Mohammed Al Attar ist eine nicht enden wollende Inszenierung im tak Theater Aufbau Kreuzberg entstanden.
Synchron rennen sie auf uns zu. Kurz vor der ersten Reihe springen sie hoch und schmeißen mit ihren in die Höhe gereckten Armen Luft über das Publikum hinweg. Schwer fallen sie zurück auf den Boden, preschen einige Meter rückwärts und hetzen dann wieder nach vorn. Sie bewegen sich immer kraftvoller, immer schneller. Immer lauter stampfen ihre Füße auf dem Boden. Bis sie nach und nach fallen. Einer bleibt zurück. Er wirft energisch seine Arme um sich, dass kaum noch etwas von der Bewegung zu erkennen ist. Erst als ihn jemand stoppt, sinkt er kraftlos zu Boden. Wir befinden uns an der Front in Syrien.
Mohammed Al Attars eigene Reisen nach Syrien liegen seinem Stück „Yousef war hier“ zugrunde. Auf der Bühne des tak Theater Aufbau Kreuzberg inszeniert Lydia Ziemke die Geschichte von Fares auf der Suche nach seinem langjährigen Freund Yousef, oder Josef, der bei seinem letzten Besuch in Syrien nach einer Minibus-Fahrt verschwand. Fares trifft nicht den, den er sucht, aber auf unterschiedliche Menschen mit ihren persönlichen Geschichten vom Weitermachen in ihrem zerfallenden Land. „Yousef war hier“ verhandelt eine Außen- und Innenperspektive auf den Syrienkonflikt. Obgleich es unklar bleibt, wo Fares lebt, ist er in Syrien ein Besucher, der unsensible Fragen stellt und selbst in einer brenzligen Situation am IS-Checkpoint die Schönheit im Euphrat erkennt: Er zieht sich nackt aus und will baden gehen.
Ziemke inszeniert diese Geschichte transparent. Jeder Ortswechsel wird offen als Umbau in das Stück eingebunden. So erinnert der Beginn des Abends an eine Proberaum-Atmosphäre, wenn die fünf Darsteller*innen sich im Raum umsehen und Requisiten ins Licht schleppen und schieben: „Man wird hier so herzlich aufgenommen, dabei war es gar nicht so schwer nach Syrien zu kommen“, ertönt es über Lautsprecher. Inmitten des Requisiten-Schlachtfelds steht eine karge, halb-offene Küche, die die Spieler*innen im Laufe des Abends mehrfach drehen, sie so ein Zuhause für viele Menschen und ihre Geschichten bietet. Ausstatterin Claire Schirck schafft einen Assoziationsraum der stetigen Veränderung. Öz Kaveller schmückt diesen mit Musik, die auch gern mal von den Spielenden kommentiert wird: „Ob die jetzt so passt, weiß ich ja nicht…“ Doch. Tut sie.
Sowohl Roland Bonjour als Fares als auch Stefan Stern und Lucie Zelger in wechselnden Rollen halten stets eine gewisse emotionale Distanz zum Geschehen. Sie stellen ihre vielen Worte in den Raum, was selten berührt, zumal der Abend von einer Geschichte zur nächsten springt, so dass es manchmal schwer fällt, den vielen Charakteren zu folgen. Bis zu jenem Moment, in dem Zelger auf dem Tisch steht und von der Explosion von Fassbomben spricht. Der Tod habe nun Gestalt angenommen: „Leute, mit denen ich gerade geredet habe, sind plötzlich nicht mehr da.“ Still steht sie da, durchdrungen von der Imagination vor ihren glänzenden Augen. Valentin Schmehl tanzt dazu eine Leichtigkeit in die Schwere der Schicksale.
Nach 60 Minuten dieses doch eher thematisch als szenisch packenden Abends hätte Dunkelheit den Raum ergreifen können – das hätte einen starken Eindruck hinterlassen. Doch dann begleiten wir Fares eine weitere Stunde lang auf seiner Reise, die, so stellt er irgendwann fest, eine „Scheißidee“ war. Er habe Menschen getroffen, denen er nicht helfen konnte. Am Ende steht Fares zwischen den Welten – und wir stehen zwischen den Worten.
„Yousef war hier“ ist die erste Eigenproduktion unter der neuen Kollektiven Künstlerischen Leitung des tak Theater Aufbau Kreuzberg und wird beim Performing Arts Festival Berlin am 6. Juni um 18.00 Uhr gezeigt.
Von Aïsha Mia Lethen Bird