Eine Erforscherin des Durcheinanders - Performing Arts Festival Blog 2018

Eine Erforscherin des Durcheinanders

8. Juni 2018

KRITIKEN

Elpida Orfanidou will in „Pharmacist or Balloonist“ am Ballhaus Ost Gegensätze verbinden.

Ich treffe mich mit Elpida Orfanidou in Neukölln, am Hermannplatz. In dem hektischen Treiben finden wir uns nicht sofort, aber nach einer Weile entdecke ich sie endlich in ihrem grün geblümten T-Shirt und der Jacke mit Leopardenmuster. Sie erzählt mir gleich von ihrer Probe für „Pharmacist or Balloonist“ am vorigen Tag. Es ist alles ziemlich stressig während des Festivals: strenger Zeitplan, neue Räumlichkeiten, die Requisiten kommen nicht rechtzeitig an. Aber sie nimmt es locker. Es wird schon klappen.

So entspannt ist auch ihr Konzept für die Performance. Konzept: Wen kümmert´s. Kostüm: Wir passen rein. Sound: Etwas Melodisches. Dramaturgie: Was halt geht. Das sind vermutlich die ehrlichsten Credits, die man von einem Künstler zu lesen bekommen kann. Elpida lacht, als ich sie darauf anspreche. Mit ihrer Performance „Pharmacist or Balloonist“ verknüpft sie Wissenschaft und Kunst, zwei Felder, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, schwer zu verbinden sind. Elpida selbst hat fünf Jahre Pharmazie studiert  und sich danach auf Tanz und Choreografie fokussiert. Für sie liegen diese beiden Felder gar nicht so weit voneinander entfernt. Bei beidem geht es um Transformation: Als Apothekerin transformiert man einen Stoff entweder in Medizin oder in Gift. Es kann heilen oder krank machen. Choreografie transformiert Zeit ins Zeitlose. Sie kann verändert, gestreckt oder gestaucht werden – oder stehenbleiben. Gezwungene Produktivität wird transformiert in Kreativität. Kurz: „Etwas Schlechtes in etwas Gutes.“ Und wenn sie selbst in etwas anderes transformieren könnte, in irgendwas? „Ich mag das Meer. Und Hunde. Also vermutlich in Hunde.”

Mit ihrer Performance will sie das Ballhaus Ost in eine Hexenküche verwandeln, ein Labor. Kräutertinkturen werden zusammengebraut, getanzt und die Magie von Transformation auf künstlerische und wissenschaftliche Weise erkundet.

Sie selbst bezeichnet sich als Erforscherin der Konfusion. Als ich sie darauf anspreche, erklärt sie, dass es ihr dabei zunächst um ihre eigene Verwirrung ging. Sie bemerkte, wie viel sie anfing und nicht zu Ende brachte, immer wieder von neuen Dingen abgelenkt wurde, immer auch auf die kleinen Details achtete. Sie wollte es sich abgewöhnen, da man schließlich zielstrebig arbeiten müsse, um Erfolg zu haben. Aber warum eigentlich? Verwirrung kann doch auch etwas Gutes sein! Ihr gefällt der Zustand von Verwunderung und Eigenartigkeit. Sie fragte sich, ob und wie man so eine Konfusion organisieren kann. 

So entsteht in ihren Arbeiten eine Verwirrung, die man als Zuschauer verstehen möchte. Generell ist Elpida kein Fan des Perfekten. Eine Performance oder eine Inszenierung, bei der alles zusammenpasst, sei zwar schön anzusehen, aber man könne nichts daraus mitnehmen, sich an nichts stoßen, findet sie. Deswegen lässt sie auch in ihrer Arbeit vieles offen. Es gibt natürlich ein Konzept, aber keine absolute Planung – „just go with the flow“. Da macht es auch nichts, dass für das Festival eine der Performerinnen der Produktion nicht da ist. Elpida überlegte zwar zunächst, mit einem Ersatz zu arbeiten. Aber sie kennen sich alle schon so lange und so gut, dass es alles nur komplizierter gemacht hätte. 

Und was hat es eigentlich mit dem balloonist auf sich? „Jemand, der in einem Ballon aufsteigt, als Sport oder Hobby” – das ist die Definition, die man im Internet finden kann. Wir sind uns einig, dass es auf jeden Fall eine großartige Sache wäre, einfach mit einem Ballon wegfliegen zu können. Was für einen Ausblick man von da oben hätte! Allerdings ist ein Ballonfahrer für Elpida vielmehr eine Metapher – das Gegenteil eines Wissenschaftlers. Jemand, der seine Gedanken fliegen lässt und nicht am Boden bleibt. Jemand, der andere Sphären erkunden möchte, nach Neuem sucht. Ein Künstler vielleicht.

Die Idee für den Titel der Performance kam ihr, als sie in einer Zeitschrift ein Interview mit dem Künstler Michael Borremans las. Borremans hat es sich zur Angewohnheit gemacht, auf die Frage, was er denn mache, immer einen anderen Beruf zu nennen. Apotheker stellte sich dabei als problematisch heraus, weil darauf zu viele spezifische Fragen folgten. Ballonfahrer dagegen kam wunderbar an.

Fast zwei Stunden, einen Tee und einen Cidre später schlendern wir zurück zu U-Bahn. Ich fahre nach Hause und kann es gar nicht erwarten am Sonntag die choreografierte Verwirrung und die Symbiose aus Wissenschaft und Kunst zu sehen.

„Pharmacist or Balloonist“ wird am 9. und 10. Juni im Ballhaus Ost gezeigt. 

Von Greta Haberer