„Einfach Händchen halten und atmen“
14. Juni 2017
Ein Gespräch mit Malte Schlösser über die Berliner Gesellschaft, Projektionen und Vatermord. Sein Monolog „Bitte bleib konkret. Wie das geht, weiß ich auch nicht so genau. (Gerechtigkeit ist asozial)“ mit Marie Gramms ist am Donnerstag um 21 Uhr und am Freitag um 22 Uhr im Theaterdiscounter zu sehen.
Malte, studiert hast du Philosophie, Soziologie und Psychotherapie. Wie bist du schließlich beim Theater gelandet?
Ich habe in der wissenschaftlichen Philosophie nicht so sehr die sinnliche Anwendung wiedergefunden, die ich gebraucht habe. Ganz simpel. Da ist Theater noch mal ein ganz anderer Überprüfungsort. Theater und Psychotherapie bauen symbolische und künstliche Räume auf, in denen man Theorie anders, interessanter und auch viel relevanter einsetzen kann. Hinzu kommt noch, dass mich am Theater Vorbilder gepackt haben, an denen ich mich abgearbeitet habe.
Welche Vorbilder?
Christoph Schlingensief, Frank Castorf, René Pollesch. Die Volksbühne ist ganz klar der Einfluss.
Warst Du dort Regieassistent?
Genau. Ich bin aber faktisch kein guter Assistent, weil ich zu viel in Frage stelle. Diese Dienerrolle muss man als Assistent auch ausfüllen können, ausfüllen wollen. Ich stand dann da und dachte: ‚Was soll das denn jetzt?‘ oder ‚Nee, ich hab kein Bock, ich will jetzt nach Hause gehen und ne Stulle essen.‘ Ich bin, aus meiner Persönlichkeitsstruktur heraus, keine gut mitdenkende, dienende Hand. Dazu bin ich zu sehr gefangen in meinem Kopf. Das ist ein Nachteil für die Position, aber ein Vorteil für mich, eigene Sachen zu machen.
Wie war das so mit Castorf und Schlingensief?
Rückwirkend war die Arbeit für mich gut, da ich sozusagen meine Vorbilder gekreuzigt habe. Innerlich, symbolisch gesehen, getötet habe. Das ist auch Teil dessen, was ich in meinen Theaterabenden erreichen will: Das, was ich aufnehme und mir anlese, versuche ich anzuwenden. Menschen, von denen ich etwas halte, will ich ja eigentlich loswerden, um mich selber daraus zu gewinnen. Was dabei hilft ist, die eigenen Vorbilder zu kreuzigen und weiterzugehen. Die Vorbilder zu inkarnieren vielleicht.
Klingt ganz schön brutal.
Naja, das ist der Vatermord aus der Psychoanalyse. Also wirklich Vater und Mutter umbringen, um weiterziehen zu können. Weil du, wenn du dort ewig hängen bleibst, als ein kleines anhimmelndes Etwas, dich nicht weiterentwickeln kannst. Dazu waren die Assistenzen sehr hilfreich. Schlingensief war mega wichtig. Tatsächlich ist Schlingensief derjenige, der mich ans Theater gebracht hat. Und das war super, ihn persönlich kennenzulernen, ihm zu assistieren und ihn dadurch loswerden zu können. Das ist das Paradox.
Würdest du dich als Künstler bezeichnen?
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was das bedeutet. Ich glaube nicht, weil ich vor den Künstlern, die ich toll finde, so einen prophetischen Respekt habe, dass ich das auf keinen Fall in Anspruch nehmen möchte.
Ist denn Theater für dich Kunst?
Manchmal denke ich tatsächlich, dass ich im Theater eine Sprache suche, die etwas von mir repräsentiert. Da fühle ich mich verbunden, damit kann ich etwas an mir begreifen. Und an dem Leben, an der Umgebung. Ich sehe mich eher als Sprachforscher. Die Wissenschaftler haben nur eine gewisse Sprache, die zugänglich ist. Ich sehe mich eher als Existenzialist, das klingt aber auch abgeschmackt. Ich würde aber auch nicht sagen, dass es etwas Therapeutisches ist. Vielleicht schon eine Lebensstütze. Pollesch sagt ja immer: ‚Etwas sichtbar machen, was nicht sichtbar ist.‘ Das hat er, glaube ich, auch irgendwo geklaut. Das ist jetzt natürlich mein Spruch. Ich würde wirklich sagen: Eine Sprache zu finden, die etwas begreifbar macht. Etwas, dass mir nützlich ist für mein Leben.
Machst du politisches Theater?
Jetzt müsste mir das Zitat von Godard einfallen. Kennst du das? ‚Man soll nicht politische Filme machen, sondern Filme politisch machen.‘ Ich denke gerade, das würde jetzt gut klingen, wenn ich sagen würde, klar mache ich politisches Theater. Machen wir nicht alle politisches Theater, weil wir ja irgendwas verhandeln? Und in dieser Verhandlung über etwas sprechen und dabei eine Repräsentation dessen auf die Bühne bringen? Das ist ja per se politisch. Da würde ich für mich auch gerne in Anspruch nehmen, zu sagen, wir versuchen in unserem kleinen Kosmos auch Sachen zu verstehen, in Frage zu stellen, etwas sichtbar zu machen, was wir meinen unsichtbar ist.
Ist das Theater deine Spielwiese, um zu verstehen?
Genau. Das Leben zu verstehen und zu vollziehen. Wie ich ja schon gesagt habe, lese ich tendenziell eher Theorie, um einzugreifen in mein Leben, an Stellen, wo ich stolpere oder nicht weiterkomme. Das ist im Therapieraum ganz vehement der Fall, dass Menschen eine Differenz sehen, zwischen dem, wie etwas sein soll und wie es ist. Im Theater ist es ähnlich. Ich versuche greifbar zu machen oder zu schließen, einzugreifen, um vielleicht einen anderen Zugang zu finden, der irgendwie nützlicher ist oder hilfreicher. Das hat natürlich politische oder gesellschaftliche Konsequenzen, weil wir gesellschaftliche Wesen sind.
Inwiefern repräsentierst du mit Deiner Arbeit den Theaterdiscounter?
Ich weiß nicht, ob das Leitungsteam mir den Kopf abreißen würde, wenn ich sage, dass ich sowas wie ein Hausregisseur vom Theaterdiscounter bin. Der Theaterdiscounter hat kein riesiges Budget, kein eigenes Ensemble oder Hausregisseure. Ich mache da jährlich mindestens eine Produktion. Ich schreibe die Texte selber, mache die Regie und bastele mir dann eine Produktion zusammen. Das Team verändert sich immer. Der Theaterdiscounter versteht sich als ein Ort, der immer neue Theaterformen ausprobiert. In dieser neuen Formsuche und Sprachsuche ist das Theater ja auch politisch, indem es andere Narrative für unser Leben sucht. Da würden ja viele sagen, das ist viel politischer, als ein politisches Thema auf die Bühne zu stellen.
Wofür steht Theaterdiscounter – Ehrenamt oder Billigware?
Der Theaterdiscounter weist darauf hin, dass die Freie Szene so behandelt wird wie Billigware. Dass die Szene durch Unterfinanzierung verramscht wird. Sie verstehen den Begriff ganz sicher als Kritik daran, wie sie finanziert sind. Und wenn das schon die ökonomischen Bedingungen sind, dann machen wir das gleich laut.
Der Monolog Bitte bleib konkret. Wie das geht, weiß ich auch nicht so genau. (Gerechtigkeit ist asozial)wird auf dem PAF zu sehen sein. Worum geht es?
In dem Stück verhandele ich eine gesellschaftliche Ebene, die auf eine ganz praktische, therapeutische Ebene trifft: Projektion und Scham. Unter anderem. Themen, mit denen ich in der therapeutischen Praxis viel zu tun habe.
Erklär mal.
Ein Phänomen, dass ich beobachte: Wenn wir scheitern in unserem Leben, sind wir geneigt zu sagen: ‚Es ist meine Schuld, ich muss mich schämen.‘ Das ist etwas, das in der Gesellschaft liegt. Ein Imperativ, der uns umgibt, dass wir uns privat schämen sollen, wenn wir etwas nicht hinkriegen. In einem Zeitalter der Selbstoptimierung gehört das dazu. Wir wollten eine Formulierung dafür finden. Wir wollten klarmachen: Das ist keine private Scham, das ist etwas, was von uns verlangt wird. In dem Sinne ist das politisch. Die ganzen Erwartungen, die wir vom Leben haben, werden in uns hineingelegt. Das wollten wir ganz explizit an therapeutischen Begriffen verhandeln.
Es geht auch um Projektionen?
In Bitte bleibt konkret. sagt Marie, dass wir in einer Begegnung bestimmte Vorstellungen voneinander haben. Geht auch gar nicht anders. Aber eigentlich ist die Frage in Beziehungen immer: Haben diese Projektionen noch Bezug zur anderen Person? Die Idee ist, dass wir, wenn wir so wollen, uns eigentlich äußerst narzisstisch begegnen, unsere eigenen Filme aufeinander ballern. Und dieses Problem, ohne dafür direkt eine Lösung zu haben, wollen wir aufmachen. Indirekt kommt dabei die Frage auf: Wie könnte Scheitern in einer Art Asylraum möglich sein? Oder: Wie kann man persönlich werden, indem man unpersönlicher wird? Indem man die Projektionen bespricht oder markiert, könnte man sich eventuell viel eher begegnen. Deswegen sagt Marie auch: ‚Die Projektionen müssen erst mal an dir sterben dürfen, damit ich dir überhaupt begegnen kann.‘ Sie fragt sich, wie das gelingen kann.
Wen oder was sprichst du damit an?
Naja, ich denke ein überreflektiertes Milieu. Ein Milieu, das an einem Überbewusstsein leidet. Einem Bewusstsein, das in einem Widerspruch lebt: Kreativ sein zu müssen und reflektiert und die Welt verändern zu wollen. Es treten ja neue Probleme auf, wenn das Bewusstsein sich selbst permanent hinterfragt. Jetzt wäre natürlich die spannende Frage, was macht das jetzt hier in Berlin so speziell? Weiß ich auch nicht. Ich denke, ich spreche von einem gewissen Milieu, einem konsumgeplagten Überbewusstsein, das nicht zur Ruhe kommt, aber glaubt zur Ruhe kommen zu müssen. Lauter Widersprüche, die sich nicht auflösen, die aber von sich aus aufgelöst werden wollen. Natürlich plagt mich auch eine Unruhe und ich beobachte die überall. Eine Unruhe, die keine Ruhe findet.
Welche Unruhe ist das?
Das ist ein Bestandteil des Lebens in der Berliner Gesellschaft. Es ist Teil dieses Publikums, dass wir alle Teil einer Gemeinschaft sind, die die Gesellschaft gerne verändert hätten und nicht wissen, welche Aktivitäten dazu führen. Wir sind ja auch völlig überfordert und unterfordert gleichzeitig darin, nichts richtig machen zu können, was Relevanz hätte, etwas zu verändern. Obwohl ja total viel gemacht wird. Gleichzeitig sehen wir ja, dass das alles nicht so greift, wie wir uns das wünschen würden. Ich glaube dieses Bewusstsein, dass es nicht greift, führt zu einer Lethargie oder Resignation.
Ist das oft Thema in deinen Produktionen?
Das hatten wir auch im letzten Stück, weil wir uns oft einreden, dass wir doch noch mal ein bisschen mehr Plastik sparen oder etwas verändern müssen. Dass das nicht zu dem Erfolg in der Gesellschaft führt, den wir gerne hätten, ist unfassbar tragisch für unsere sensible Seele. Wir halten das ja alle kaum aus, dass die Gesellschaft so hinter dem hinterherhinkt, was wir schon längst denken.
Gibt es einen Ausweg bei euch im Theater?
Das ist schon etwas, dass wir an so einem Abend versuchen: Eine klitzekleine Gemeinschaft zu bilden und zu sagen, uns geht es ja allen so! Wir wissen darum, dass wir keine wirklichen Hebel haben, etwas zu verändern. Wir müssen uns einreden, dass wir mit einer kleinen Bewegung etwas verändern können. Obwohl wir wissen, dass das Quatsch ist. Und das ist so unglaublich tragisch. Da ist es das Beste, zusammenzuhalten, Händchen zu halten und zusammen zu heulen. Dann ist man nicht ganz so allein damit. Ich finde Theaterstücke, die immer behaupten, man könnte doch nochmal was machen, super unangenehm. Viel relevanter ist es doch, und das haben wir auch in dem Stück Zeig doch mal positiv, wie du mit Schmerz umgehst. verhandelt, einfach Händchen zu halten und zu atmen und zu merken, dass man nicht allein ist.
War das das Stück, in dem du das Hormon Oxytocin thematisiert hast?
Das war bei Authentizitätsprothesen, wo wir gesagt haben: Oxytocin ist dazu da, dass das Kuschelbedürfnis von Müttern und Babys total gesteigert wird. Das passiert aber immer auf Kosten der Abgrenzung von Anderen. Das heißt, Zusammenhalt läuft immer Gefahr, andere auszugrenzen. Das ist ja auch zum Teil das Dilemma eines Theaterabends, das wir auch andere ausgrenzen.
Warum sollten Festivalbesucher*innen deine Stücke sehen?
Ich muss die Antwort verweigern. Ich wäre geneigt, zu sagen: Kommt auf keinen Fall! Allein aus Protest, da jetzt Werbung machen zu wollen. Ich kann meine Relevanz jetzt nicht durch irgendeinen klugen Spruch erhöhen. Weil das Plakat geil ist. Weil Marie, die Schauspielerin, toll spielt. Kommt auf keinen Fall und wenn, dann wegen Marie.
Das Interview führte Lilith Jogwer