Grenzen ziehen, um sie zu überwinden - Performing Arts Festival Blog 2018

Grenzen ziehen, um sie zu überwinden

13. Juni 2017

INTERVIEWS

Die Performancekünstlerin Janette Mickan von LUNATIKS über ökonomische Zwänge, Grenzen und Frauen im Theater. 

Janette, eure aktuellen Performance heißt „Büro für Wiedervereinigungen und Fusionen“. Um was geht es?

Das ist eine Art Vorrecherche für ein Projekt, das „Delegation X“ heißt und im September Premiere haben wird. Wir haben eine Frau im Team, deren Mutter Koreanerin und deren Vater Deutscher ist. Nach Gesprächen mit ihr fanden wir es naheliegend, uns mit dem Thema Vereinigung und Fusion zu beschäftigen. Für eine Recherche waren wir in Korea. Die Ergebnisse versuchen wir jetzt performativ zu fassen. Uns ist wichtig zu zeigen: Wir entwickeln hier gerade ein Projekt, haben diesen Arbeitsstand. Da gibt es natürlich einzelne Dinge, die wir schon ausgearbeitet haben und gemeinsam mit den Zuschauern ausprobieren wollen. Wir haben diese beiden Erfahrungen aus zwei Ländern mit Teilungs- und Vereinigungszuständen, die wir miteinander vergleichen und auf eine abstraktere Ebene führen wollen.

Haben Grenzen heutzutage noch einen Sinn?

Als Westeuropäer ist man ja eigentlich gegen Grenzen. Lustigerweise haben wir diese Frage einem Schweizer gestellt, den wir interviewt haben. In Korea gibt es die am stärksten militarisierte Zone der Welt, in der Schweizer und Schweden die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen Norden und Süden als neutrale Beobachter kontrollieren. Dieser Schweizer hat gesagt, dass das Problem zwischen Nord- und Südkorea ist, dass die Länder ihre Grenze gar nicht erst ziehen und sich gegenseitig nicht als Staaten akzeptieren, sondern das Problem ignorieren. Er meinte, dass es ihnen vielleicht helfen würde, erstmal die Grenze zu definieren. Dann erst könne man schauen, wie man diese Grenze überwinden kann. Das war ein sehr interessanter Gedanke.

Wie würdest du LUNATIKS in drei Sätzen beschreiben?

Stückentwicklung auf der Basis von Interviewrecherche. Soziale, gesellschaftliche und politische Themen. Die Form des Theaters immer wieder neu zu befragen und neue Formate finden.

Ihr habt euch 2001 gegründet. Gab es seitdem viel Wechsel im Team?

Die Leute, die LUNATIKS gegründet haben, waren vor allem Männer. Die meisten von ihnen sind irgendwann ans Stadttheater gegangen. Und jetzt sind es viel mehr Frauen und ein Mann. Die haben sich bewusst für die Freie Szene entschieden.

Welche Vorteile siehst du in der Freien Szene?

Ich selber war mal Dramaturgieassistentin und Dramaturgin in Leipzig, hatte ein Folgeangebot. Das habe ich dann nicht angenommen. Für mich ist das Wichtigste, dass ich selbst entscheiden kann, mit wem ich arbeite. Da ist man am Stadttheater schon sehr eingeengt. Vor allem, wenn du nicht erstens ein Mann bist und zweitens in einer bestimmten Liga spielst. Ich würde sagen, 90 Prozent der Menschen, die am Stadttheater arbeiten, sind in Konstellationen geworfen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Natürlich gibt es in der Freien Szene andere Zwänge, ökonomische zum Beispiel, ist von Antragsfristen abhängig. Nur ist das für mich nicht so schlimm. Mir ist der menschliche Faktor wichtig. Ich möchte lieber Freiheiten haben und nehme dann diese anderen Zwänge in Kauf.

Wie entwickelt ihr bei LUNATIKS eine Performance-Idee?

Die Idee ist leider oft von den Antragsfristen abhängig. Jeder, der sagt, er ist völlig frei davon, der lügt. Oft interessiert man sich für ein Thema, aber dann gibt es eben auch Fonds, die einem fast schon Themen vorschreiben. Wir haben regelmäßige Treffen, bei denen wir Themen diskutieren. Der geschriebene Antrag ist immer eine Prosa für sich und hat am Ende oft auch nicht wirklich viel damit zu tun, was entsteht, aber es muss natürlich überzeugen – auch uns selbst.

Wie bist du eigentlich zu LUNATIKS gekommen?

Bei LUNATIKS war ich schon während des Theaterwissenschaftsstudiums, bei dem ich relativ schnell festgestellt habe, dass es doch sehr theoretisch ist. Deswegen habe ich Assistenzen und eigentlich alles gemacht am Theater. Wenn irgendwer kam und gefragt hat, habe ich immer ja gesagt, Bühne gemacht, Kostüm gemacht, assistiert, geschrieben, Dramaturgie – parallel zum Studium. Fast ein Jahr lang habe ich am Gorki hospitiert, während ich eigentlich hätte meinen Abschluss machen sollen. Direkt mit dem Abschluss hatte ich schon diese Assistenzstelle in Leipzig bekommen. Das war natürlich ein Luxus. Ich finde es gut, das gemacht zu haben. Weil ich jetzt ganz klar weiß, wo ich hingehöre: in die Freie Szene. Dann kam der Doppelpass mit dem Theater Kiel.

Doppelpass?

Das ist ein Fonds von der Kulturstiftung des Bundes, der die Zusammenarbeit von freien Gruppen und Stadttheatern fördert. Da wird man als Gruppe zwei Jahre gefördert. Du arbeitest dann quasi nur an diesem Haus. Das gibt es seit 2012, wir waren in der ersten Runde zusammen mit dem Theater Kiel dabei.

Bist du damals nach Kiel gependelt?

Genau. Damals hatte ich sogar noch eine Wohnung in Leipzig. Also habe ich ein Jahr lang in drei Städten gewohnt. Das war ganz schön krass. Dann habe ich gedacht: Ne, ist vielleicht doch ein bisschen viel. Aber seit Kiel bin ich komplett frei und muss schauen, von Projekt zu Projekt zu kommen. Bisher – Gott sei Dank – geht es doch immer irgendwie weiter.

Macht dir das manchmal Angst?

Es hat sich verbessert. Es gab eine Phase, vor ein, zwei Jahren, wo ich nicht wusste, ob ich das aushalten kann. Nicht zu wissen, was als nächstes kommt. Erstens kam immer irgendwas. Zweitens gibt es die Sicherheit, mit der Musik und den Abenddiensten im Theaterdiscounter noch ein zweites Standbein zu haben. Und das Selbstbewusstsein, die eigene Existenz und das Lebensglück nicht allein vom Theater abhängig zu machen. Aber das kann ich sowieso jedem nur empfehlen.

LUNATIKS ist ein Theaterkollektiv aus Berlin, das seit 2002 Theaterstücke, Performances und Installationen verwirklicht. Bekannt wurde die Gruppe mit der ersten Versteigerung eines Theaterstücks bei eBay (“livingROOMS : das Zuhausetheater”, 2004). LUNATIKS sind aktuell Elisabeth Hofmann, Janette Mickan, Anna-Katharina Müller, Michael Müller, Eva-Maria Reimer, Christine Rollar und Ilka Rücke.

von Klaudia Lagozinski