In der zerrissenen Stadt
8. Juni 2018
Die Gruppe Sisyphos der Flugelefant erschafft mit „Es wird einmal…“ eine Parallelwelt, die Spaß macht, aber sich nicht immer erschließt.
Sieben Erwachsene mit schalldichten Kopfhörern auf den Ohren wickeln kleine Kohlrouladen in einer Küche, deren Fenster abgeklebt sind. Mit Blicken und Gesten verständigen sie einander, wer als nächstes die Radieschen bekommt. Als sie fertig sind, halten sie bedeutungsschwanger ihre Hände über die Käseglocke, unter der die fertigen Rouladen liegen.
Was wirkt wie eine skurrile Kochshow, ist nur eine von vier absurden Aufgaben in „Es wird einmal…“. Das „Gemeinschaftsspiel um eine soziale Utopie für Menschen von 8 bis 99 Jahren“ ist eine Arbeit des Kollektivs Sisyphos der Flugelefant.
Die Eintrittskarte ist ein Puzzleteil. Schon die Fahrt in den 16. Stock des ehemaligen Hotels an der Stresemannstraße wirkt, als betrete man eine andere Welt. Die Sicherheitshinweise im Aufzug sind in arabischer und persischer Schrift verfasst. Die Menschen im Aufzug reden in einer dem deutschen Ohr fremden Sprache. Es riecht nach orientalischen Gewürzen. Die Flure, die bei jedem Zwischenhalt sichtbar werden, wirken heruntergekommen. Das ehemalige Stresemannhaus hat seine glamourösen Zeiten hinter sich, dient nun Geflüchteten als Unterkunft. Im sechzehnten Stock hingegen: hohe, weiß gestrichene Wände, Holzbalken und eine Dachterrasse.
Die erste Aufgabe besteht darin, die anderen Gruppenmitglieder zu finden und das Bild einer zerrissenen Stadt zusammenzusetzen. Ein kurzer Zeichentrickfilm führt in die Geschichte ein, wirft aber mehr Fragen auf, als er beantwortet. Die vier Gruppen durchlaufen nun in unterschiedlichen Reihenfolgen die vier Stationen auf der Suche nach Kartenteilen der zerrissenen Stadt. Sie müssen dem Bürgermeister sowie den Figuren Dunya, Esther und Milosch durch Kooperationen entlockt werden. Wer diese Charaktere eigentlich sind, wird nur sporadisch erläutert, auf Textkarten, die man vor jeder Runde erhält.
Alle singen, um Dunya zu trösten und tanzen, um Milosch in gute Laune zu versetzen. Aufgaben wie diese sind rätselhaft und merkwürdig, aber da sich alle auf das Spiel einlassen, gestaltet sich der Lösungsweg befremdlich natürlich. Am Ende stellt sich heraus, das ein guter Teil der gemeinsamen Arbeit insofern umsonst war, als dass man ihn für die finale Lösung gar nicht braucht. Die verschiedenen, gemeinsam zubereiteten Häppchen werden rumgereicht und alle singen zusammen ein Lied über Teilhabe, dessen Text auf der Leinwand eingeblendet wird.
Die Absicht der immersiven Produktion ist klar: Alle Menschen sollen unabhängig von Herkunft und sozialem Status friedlich zusammenleben. Die Gemeinschaft steht über dem Individuum, niemand ist allein. Diese Geschichte wird im Programmheft, das am Ende ausgeteilt wird, erzählt, schön, vielleicht ein bisschen sehr pädagogisch. Nur vermittelt sie sich kaum in der Performance, die nicht gänzlich auf verbale Kommunikation hätte verzichten sollen. Das am Ende kreierte Gemeinschaftserlebnis, wenn alle zusammen essen und singen, berührt, wirkt aber auch sehr gewollt. Und der Weg dahin gleicht einem von übermotivierten Eltern organisierten Kindergeburtstag.
von Christina Reuter
Wieder Freitag, 18.30 Uhr, Samstag, 16 Uhr.