Mit dem Körper durch den Text gehen
9. Juni 2018
„Die Geschichte einer Tigerin“: Andrea Poscas Hommage an Dario Fo in der ufa fabrik.
„Nie die Gastfreundlichkeit der Tiger missachten! Also trank ich von ihrer Titte.“ Andrea Posca geht leicht in die Knie und neigt seinen Kopf nach oben. Weit streckt er seine Lippen nach vorne, als ob er wirklich an etwas nippen wollte. „Nom. Nom. Nom. Ey, Leute. Schmeckt gar nicht so schlecht. Richtig sahnig.“ Mehrfach wiederholt Posca diesen Vorgang. „Die Tigerin ist so voll mit Milch, dass sie fast geplatzt wäre. So blieb mir nichts anderes übrig, als noch mehr zu trinken.“
Immer wieder kichert das nur aus 14 Leuten bestehende Publikum in der ufa fabrik in Tempelhof. Dario Fos Monolog handelt von einem chinesischen Soldaten zur Zeit des „Langen Marsches“ der revolutionären Truppen um Mao Tse Tung in den Jahren 1934/35. Der verwundete Protagonist findet in einer Höhle Schutz vor einem Gewitter, wo er auf eine Tigerin und ihr Junges stößt. Es entwickelt sich eine funktionierende Zweckgemeinschaft. Posca wechselt während des Stücks ständig die Positionen zwischen Erzähler und den einzelnen Figuren.
Ganz in schwarz gekleidet steht der 33-jährige italienische Schauspieler auf der leeren, kleinen Bühne. Lediglich der auf dem Boden ausgebreitete Kreidestaub hinterlässt Spuren auf seiner Kleidung, die aussehen wie getrocknete Schweißflecken. Und in der Tat kommt Posca in dieser körperlich anspruchsvollen One-Man-Show zum Schwitzen. Er braucht keine Requisiten, kein Bühnenbild. Er vertraut auf die Kraft seiner Stimme und Gesten.
Diese Kraft ist überschäumend. Jeder Satz der Erzählung wird mit großen, oft klischeehaft italienischen Gesten begleitet. Comichaft skizziert er das Sträuben der Haare bei der ersten Begegnung mit der Tigerin, die er immer wieder laut erbrüllen lässt. Lautmalerisch skizziert Posca das Gewitter und das Feuer. Er überzeichnet seine Figuren mit schnellen Wechseln in Mimik und Körperhaltung. Dabei scheut er sich nicht vor Slapstick. Das macht Spaß und wird auch Dario Fos Stil gerecht, der seine politischen Botschaften in skurrilen, farcehaften Humor verpackte.
Beeindruckend ist neben Poscas Ausdauer auch seine Souveränität in der deutschen Sprache, die nicht seine Muttersprache ist. In diesen 70 Minuten gibt es kaum eine artikulatorische Ungenauigkeit, kaum einen Versprecher – was auch damit zusammenhängen könnte, dass Posca diese Produktion seit 2016 regelmäßig spielt. Im Nachgespräch erzählt er, dass er keinen Unterschied macht zwischen einem 200-köpfigen Publikum und einem, das nur aus zwei Menschen besteht. Charmant! Dann sagt er: „Für mich ist mit der ‚Tigerin‘ das Höchste erreicht. Ich habe keine Energie, andere Stücke von Dario zu machen.“ Aber lässt sich Dario Fos Erbe tatsächlich dadurch bewahren, das immer gleiche Stück, die immer gleiche Inszenierung zu reproduzieren? Wo bleibt die Erkundung des Neuen? Das Talent, das Handwerk und den Humor dafür besitzt Posca allemal.
Von Ludwig Obst
Noch einmal am 10.06. um 19h. Die geplante Vorstellung am 09.06. entfällt.