Niemand ist alle - Performing Arts Festival Blog 2018

Niemand ist alle

4. Juni 2018

INTERVIEWS

Janina Benduski, Leiterin des Performing Arts Festival Berlin, im Gespräch über Schneisen durchs Programm, Leitgedanken und offene Wünsche.

Das Programm des PAF wirkt auf den ersten Blick ziemlich speziell und in seiner Masse überfordernd. Warum sollte jemand, der mit Theater und Kunst allenfalls als gelegentlicher Zuschauer zu tun hat, das Festival besuchen?

Das PAF ist gerade für Menschen, die mit Theater bislang nicht viel zu tun haben, ein perfekter Zugang! Es ist ein öffentlicher Auftritt in der Stadt, eine Art Theaterfest im Sommer, wo ich mich an kleinen, versteckten Orten wie an größeren Häusern direkt angesprochen fühle und über eine Woche hinweg die Schwingungen eines Festivals miterleben kann. Weil das Festival an so vielen Orten gleichzeitig stattfindet, entsteht ein Bewegungsraum. Das sind besondere Wege in die Kunst- und Kulturwelt hinein.

Das Programm wirkt mit seinem Umfang ziemlich einschüchternd. Wie schlägt man sich durch den Veranstaltungsdschungel eine Schneise?

Wir haben eine Webseite mit einem Stadtplan, wo man sieht, was an den einzelnen Orten stattfindet, und ein Programmbuch, das zum ersten Mal nach Kiezen und Häusern geordnet ist. Ich kann schauen: Was ist bei mir um die Ecke, was liegt auf meinem Weg? Und je nachdem, woran ich interessiert bin, gibt es Schlagwörter, mit denen ich mich auf der Webseite zurechtfinden kann: lieber neuer Zirkus oder Puppentheater? Ein Hashtag ist besonders beliebt: #Eintrittfrei.

Wie setzt sich das Programm zusammen? Wird es von der Festivalleitung kuratiert?

Nein. Weder stellen wir das Programm zusammen noch bewerben sich die Gruppen, sondern die teilnehmenden Häuser melden ihr Programm selbst an, nachdem wir einen Aufruf an alle in der Szene geschickt haben. Wichtig ist uns, dass es professionelles freies Theater ist – und keine Amateurtheatergruppe zum Beispiel. Aber es ist keine kuratorische Auswahl, sondern ein Vertrauen auf die Szene und die Programmvorschläge der Häuser, die wir aufnehmen und sortieren. Eine Ausnahme ist „Introducing“, ein von uns direkt veranstaltetes Nachwuchsförderungsprogramm, das neue künstlerische Positionen vorstellt.

Im vergangenen Jahr fiel auf, dass Größen wie Rimini Protokoll oder Sasha Waltz dabei waren. In diesem Jahr nicht.

Ich glaube eher, es sind ein paar große Namen dabei, nur kennt man sie nicht alle als Vertraute in unserer Szene. Es stimmt: Es geht weg von den fünf großen Gruppen, die jeder in der Freien Szene kennt. Was auch damit zu tun hat, dass das Festival selbst zunehmend Aufmerksamkeit generiert, also auch für kleinere, jüngere Gruppen, die sie brauchen können. Und die Besucher können ganze Spielorte neu entdecken und gehen nicht nur wegen eines bestimmten Namens hin. 

Eine thematische Setzung ist beim unkuratierten PAF unmöglich. Gibt es dennoch einen Leitgedanken?

Unser Leitgedanke ist nach wie vor: Wir wollen ein Theaterfestival der Freien Szene sein. Wir wollen dieser Form des Theaters, die nicht von einer Institution angeleitet wird, sondern aus dem inhaltlichen, künstlerischen Interesse der Beteiligten selbst heraus entsteht, einen Raum geben. Es gibt keine einheitliche Ästhetik der Freien Szene, auch wenn ein durchgreifendes Interesse an gesellschaftlich-politischer Relevanz wie auch an neuen Formen von Erzählen und inhaltlicher Entwicklung erkennbar wird. Und natürlich führt der Umstand, strukturell zu arbeiten und sich sein Umfeld immer wieder neu schaffen zu müssen, zu bestimmten ästhetischen Resultaten. Der Leitgedanke sind deshalb eigentlich die Strukturen, in denen diese Kunstform entsteht.

Das PAF wird vom LAFT Berlin veranstaltet, der wiederum einen Großteil der Freien Szene vertritt. Hat das PAF den Anspruch, die gesamte Freie Szene zu repräsentieren?

Ein großer Vorteil der Freien Szene ist, dass sie ihre Identität nicht hermetisch begreifen muss. Wir sind nie alle. Niemand ist alle. Ich denke, dass das PAF sogar ein breiteres Spektrum abbildet als der Verband selbst, weil das kulturpolitische Engagement auch eine strengere Form ist. Beim PAF kommen auch Menschen zu uns, die nicht dem szene- oder kulturpolitischen Feld angehören. Und nicht alle beteiligten Häuser sind Mitglieder des LAFT.

Gibt es bestimmte Trends, was Orte oder Formate betrifft, die sich an den Besucherzahlen ablesen lassen?

Im ersten Jahr waren es 6000 Besucher, im zweiten Jahr 11 000. Das ist ein großartiger Sprung. Für dieses Jahr lassen sich noch keine Aussagen treffen. Was wir von unserer Statistik wissen, ist, dass die Beliebtheit oftmals mehr mit der Produktion zu tun hat als mit dem Ort. Nicht ein bestimmtes Haus war voll, sondern einzelne Produktionen.

Bietet das Festival auch eine Plattform, wo sich die Freie Szene formieren kann angesichts der prekären Arbeitsverhältnisse und vielen strukturellen Missstände?

Beim Festival gibt es ein breites Programm für Fachpublikum zum Austausch und zur Vernetzung. Aber der Schwerpunkt des PAF liegt bei der Präsentation der Stücke und der Orte. Und allein durch die Präsenz in der Stadt gewinnt die Szene aus meiner Sicht ein politisches Standing und positioniert sich. Das spiegelt sich auch in der Presseresonanz wieder: Mittlerweile schlägt uns nicht mehr nur reines Fachzeitschrifteninteresse entgegen, sondern die Presse nimmt uns in einem allgemeineren Kontext wahr. Das ermöglicht auch die Öffnung in einen weiteren Publikumskreis. Wir wollen das Festival nicht ausschließlich zur Diskursplattform werden lassen, im Herbst gibt es unseren großen Kongress, der stärker politisch akzentuiert ist. Daher soll das erste Ziel des Festivals nicht sein, die politische Ausdruckskraft der Szene zu erweitern. Das machen wir sowieso. Dauernd. Immer.

Die Finanzierung ist nach wie vor die, dass jede Spielstätte ihre Einnahmen ausschließlich über Tickets generiert und die Vergütung mit ihren Künstlerinnen und Künstlern selbst regelt. Je nachdem, wie gut oder streng die mit ihren Leuten verhandeln, kommt auch etwas Gutes oder nicht so Gutes für die beteiligten Künstler heraus. Manche Künstler*innen finden das Format entsprechend toll, andere haben Bauchschmerzen. Wie geht ihr im Jahr Drei damit um?

Mit Bauchschmerzen. Das ist tatsächlich der Punkt, der uns immer noch am meisten Probleme macht. Aus dem simplen Grund: Das Festival ist ja zum Glück keine einsame Idee gewesen, wir sind ja auch in so einer Bewegung mit vielen Leuten und großen Abstimmungen in der Szene. Entstanden ist es aus der Frage: Was wollen wir eigentlich für ein neues gemeinsames Festival haben? Im Open Call und in allen Papieren fordern wir die teilnehmenden Spielstätten dazu auf, nur mitzumachen, wenn sie das finanziell und unter organisatorischen Bedingungen vernünftig herstellen können. Wir überprüfen das aber nicht. Weil: Wenn wir es kontrollieren und verbieten, dann wären es wieder alle Kleinen, nicht Geförderten, die rausfallen würden. Man würde dann wieder nur den Teil der Szene zeigen und sich beteiligen lassen, der bereits gefördert und abgesichert in anständigen Förderverhältnissen ist. Grenzen wir also die Kleinen aus oder sagen wir, wir verbessern alle insgesamt weiter die Situation generell, damit sich auch die Situation beim Festival langfristig verbessert?

Das macht ihr dann über die Verbandsarbeit beim LAFT?

Genau, das passiert derzeit nicht als Auflage für die Teilnahme am Festival. Dass das in Einzelfällen zu unschönen Situationen führt, ist uns klar. Wir versuchen auch immer gesprächsbereit zu sein, wenn es zum Beispiel einen Konflikt zwischen dem Ort und den Künstler*innen gibt. Letzten Endes kann man nur sagen, dass wir darum bitten, nur teilzunehmen, wenn man genau weiß, was man tut. Es gibt ja auch große Gruppen, die ihre eigenen Gelder haben und die Präsentationsplattform an einem Haus gut finden und das dann aus ihrer eigenen Förderung bezahlen. 

Ihr werdet auch von der Stadt gefördert. Gibt es da nicht eine Möglichkeit, einen Notfonds einzurichten für die, die kein Geld bekommen?

Wir haben jetzt schon in Planung, dass wir in diesem Jahr vielleicht im Nachhinein einen kleinen Zuschuss für die ganz Ungeförderten zahlen können, einen Miniatur-Solidaritätszuschuss. Das erweist sich allerdings juristisch als ziemlich schwierig. Ein Haken an der Sache ist z.B. das Doppelförderungsverbot, also das Produktionen, die schon mit öffentlichem Geld gefördert werden, nicht noch einmal zusätzlich gefördert werden dürfen. Aber ja, der Plan ist, auf Dauer die ganz krassen Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Das Problem ist allerdings, dass man dann wieder auswählen muss. Nächstes Jahr haben wir mehr Geld, da müssen wir dann herausfinden, wer entscheidet, wer das Geld kriegt, und wo es richtig aufgehoben ist.

Apropos Förderung: Das PAF bekommt voraussichtlich zum ersten Mal eine mittelfristige Förderung. Wenn die Wahrscheinlichkeit größer ist als bisher, dass ihr auch im nächsten Jahr stattfindet, und ihr strukturell schon weiter nach vorne schauen könnt – gibt es Ziele oder Pläne?

Der erste wichtige Schritt ist, schon jetzt das nächste Jahr vorzubereiten zu können und nicht erst Mitte Januar hektisch anzufangen wie bisher, und dem Team eine Planungssicherheit zu geben. Der zweite Schritt ist die Überlegung: Wo will dieses Festival auf Dauer inhaltlich hin? Dann schließen sich weitere Schritte an: Möchten wir gemeinsam eine thematische Schwerpunktsetzung erarbeiten? Wollen wir noch größer werden oder nicht? Was ist beispielsweise mit den Berliner Außenkiezen? Momentan sind wir eher ein Innenstadt-Festival. Das sind viele Fragen. Langfristig haben wir die Hoffnung, sie vernünftig und systematisch angehen zu können. Und nicht immer erst abwarten zu müssen, ob das Festival überhaupt stattfindet.

Von Antonia Ruhl und Georg Kasch