Schrumpfende Räume
13. Juni 2017
Zum Start des PAF sprechen die Leiter*innen Janina Benduski und Stefan Sahlmann im Interview über die kulturpolitische Signalwirkung des Festivals, prekäre Arbeitsbedingungen der Szene und schrumpfende Räume in der Stadt.
Ein bisschen wirkt es, als sei die Zeit stehengeblieben: Das Büro des Landesverbands Freie Darstellende Künste in Berlin (LAFT) liegt über dem Ballhaust Ost, im zweiten Stock des Mietskasernen-Hinterhauses mit maroder Bausubstanz. Über abgetretene Treppenstufen und alte Holzdielen geht es in den zweiten Stock. Hier sitzen die PAF-Leiter*innen Janina Benduski und Stefan Sahlmann. Gemeinsam ziehen wir weiter in den 5. Stock, ein kleiner Konferenzraum, wieder im Shabby-Look, als wollte jemand sagen: In der Freien Szene ist alles noch wie früher. Aber der Schein trügt.
Über 120 Produktionen an 62 Spielorten in fünf Tagen – da verliert man sofort den Überblick. Ist das so gewollt?
Janina: Wir glauben nicht, dass das Publikum den Überblick verliert. Je nach Interesse suchen sich die Zuschauer ihren Weg durchs Festival und orientieren sich zum Beispiel am Kinder- und Jugendprogramm, der Nachwuchsplattform oder den englischsprachigen Produktionen. Wir wollen das gesamte Spektrum der Freien Szene verdichtet in diesen fünf Tagen zeigen. Sinn der Sache ist dabei nicht, alles zu sehen oder sich von allem angesprochen zu fühlen.
Stefan: Durch die Vielfalt zeigen wir auch, dass die Berliner Kulturlandschaft ein forderndes Angebot ist. Natürlich ist das eine Aufgabe für das Publikum sich hier einen Überblick zu verschaffen. Ein Überblick ist ja nichts, was man verliert, sondern im Gegenteil etwas, das man sich schafft. Wir denken, dass das Festival hier wertvolle Hilfestellungen leistet.
Also ist das Spektrum auch ein politisches Signal, um zu zeigen, was die Szene alles zu bieten hat?
Janina: Zumindest ein kulturpolitisches Signal mit Blick auf die Dimension der Freien Szene. Das PAF macht sichtbar, was dort das ganze Jahr über unterm Radar passiert. Die Fülle des Angebots sorgt unter Politikern immer wieder für Überraschungsmomente.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Festivalgänger aufgrund der Überforderung dann doch nur im Ballhaus, HAU oder den Sophiensaelen landen?
Stefan: Der Schluss liegt nahe, aber die Besucherzahlen des letzten Jahres zeigen, dass auch die kleinen Bühnen gut ausgelastet sind.
Janina: Ein Pluspunkt ist die Dezentralisierung des Festivals. Die Leute sagen: Ins HAU kann ich das ganze Jahr gehen, aber den Ort bei mir um die Ecke, den kannte ich noch nicht.
Was ist mit Leuchtturm-Produktionen wie Rimini Protokoll oder Sasha Waltz? Sind die wichtig oder eher schädlich, weil sie den Fokus verschieben?
Janina: Ich finde es gut, sie dabei zu haben. Weil wir so eine Spannbreite von etablierten bis hin zu ganz neuen Künstlern haben. Das zeigt, wie die Szene wirklich ist.
Stefan: Das sind auch Künstler, die aus der Freien Szene kommen und jetzt Erfolg haben. Nur, weil man erfolgreich ist, heißt das ja nicht, dass man nicht mehr zur Freien Szene gehört.
Gibt es eine Vorauswahl der Künstler*innen und Spielorte?
Janina: Wir überprüfen bei den Einsendungen nur, ob es sich um professionelle Freie Szene handelt. Eine Studierenden-Theater AG, aber auch das Staatstheater würden rausfallen. Mitmachen können entweder Spielstätten mit einem Programm oder Gruppen, die bereits über einen Spielort verfügen.
Stefan: Wobei der Spielort kein Theater sein muss. Letztes Jahr hatten wir auch Beiträge, bei denen zum Beispiel eine Wohnung zum Aufführungsort wurde.
Haben es komplette Neulinge durch diese Bedingung nicht schwerer?
Janina: Es gibt noch die Nachwuchsplattform „Introducing“. Dort bewerben sich Künstler ohne Bühne, um für ihre Produktion eine Förderung und Unterstützung durch Workshops zu erhalten. Dieses Jahr wurden aus rund 100 Bewerbungen neun Produktionen von einer Jury ausgewählt.
Stefan: Wir müssen einfach Grenzen ziehen. Leider. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass nach Joseph Beuys jeder ein Künstler ist. Aber wenn wir sagen: Ganz Berlin ist ein Theater und alles ist Kunst, dann würden zwanzigtausend Leute etwas aufführen. Das wäre dann natürlich ein ganz anderes Konzept.
Den teilnehmenden Theatern und den Künstler*innen zahlt ihr keine Honorare. Damit verschärft das PAF doch die selbstausbeuterische Grundhaltung in der Szene. Müsste nicht gerade ein Leuchtturm wie das PAF mit gutem Beispiel vorangehen?
Janina: Die Frage haben wir natürlich auch diskutiert. Momentan ist es so, dass wir unsere Verträge nur mit den Veranstaltern machen. Wie diese ihr Programm finanzieren und wie die Produktionsbedingungen vor Ort sind, wissen wir oft gar nicht. In den Ausschreibungen haben wir darum gebeten, dass sich die Menschen nur beteiligen, wenn die Produktionen „mit vernünftigen finanziellen Grundlagen finanziert werden können.“
Klingt nach einem Outsourcing von Verantwortung. Warum schreibt ihr in die Verträge nicht einfach eine Honorarpflicht?
Janina: Weil das ein Ausschluss für die Leute bedeuten würde, die die Bedingungen nicht erfüllen können. In dem Moment sagen wir: Du gehörst dazu, weil Du das Geld hast und Du nicht. Gegen diese knallharte Linie haben sich alle Beteiligten gewehrt. Deshalb haben wir es als Bitte und Selbstbitte an uns formuliert, aber nicht als Ausschlusskriterium.
Stefan: Ich denke auch, dass die mitunter prekären Bedingungen der Freien Szene durch das Festival überhaupt erst sichtbar werden. Die Szene hat zu wenig Geld und viel zu wenige Räume in der Stadt, die sich ja momentan total an den Kapitalismus verkauft. Was dann passiert, kann man beispielsweise in München sehen. Die Stadt ist tot. Wo es früher Ateliers gab, stehen jetzt Lofts. Berlin geht diesen Weg gerade. Aber indem wir gebündelt zeigen, was die Freie Szene ist und wofür sie steht, schaffen wir auch eine bessere Verhandlungsposition gegenüber politischen Entscheidungsträgern.
Bekommen die davon überhaupt etwas mit?
Stefan: Natürlich ist das Festival nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Aber es erzeugt Aufmerksamkeit. Wir werden wahrgenommen. Auch von Politikern, von der Senats- und Geldgeberseite. Man kommt um die Freie Szene nicht mehr so einfach herum.
Dieses Interview führte Friederike Oertel.