Sieh da: ein Mensch
18. Juni 2017
Clébio Oliveira zeigt in “Foreign Body” im Dock 11 eine Figur ohne eindeutiges Geschlecht.
Es ist stockdunkel. Nur das Licht, das zwischen den Brettern der Wände ein Muster aus hellen Linien ergibt, ermöglicht Orientierung in diesem industriehallenartigen Raum im Dock 11. Stille. Dann sind Schritte von klackernden Schuhen zu hören. Wieder Stille. Ein warmes Licht erhellt den Körper von Clébio Oliveira mitten auf der großen Bühnenfläche. Ein lockiger Kopf, eine helle Felljacke, mit durchsichtiger Strumpfhose bedeckte, muskulöse Beine und Stöckelschuhe. Dieser Mantel wird in der nächsten Dunkelheit abgelegt. Ein Scheinwerfer zeigt Olivieras nackten Körper – von hinten. Mehr wird mensch an diesem Abend auch nicht zu sehen bekommen.
[12:03]
Aïsha: Lisa, du hast dir ja am Freitag schon “Foreign Body” von Clébio Oliveira angesehen – wie war dein Eindruck vom Abend?
[12:06]
Lisa: Ich muss sagen, dass ich zunächst etwas unschlüssig war, wie ich mit der Performance umgehen sollte. Aber ich war beeindruckt von Clébio Oliveiras Bewegungen. Wie war dein erster Eindruck? Hat es dich verwirrt, dass man nicht einmal sein Gesicht während der Inszenierung sehen konnte?
[12:08]
Aïsha: Ja, das war definitiv etwas sehr Eigenes. Ich habe ein Problem damit, jetzt durch Pronomen in diesem Gespräch etwas zu zerstören, was in der Performance da war – ein Mensch jenseits der Geschlechterkategorien. Wie geht es dir damit?
[12:11]
Lisa: Ich sehe es ähnlich. Ich fand es spannend, dass dort ein unantastbarer Körper ist, der sich nicht einfach in eine Kategorie einordnen lässt. Das ist in jedem Fall gewollt. Ein Indiz dafür ist, dass der untere Körper mit einer Strumpfhose und hohen Schuhe angezogen war, was die Gesellschaft als weiblich abstempeln würde. Jedoch bestand der obere Körper aus einem breiten und muskulösen Rücken. Während der Performance bemerkt man, wie Oliveira manchmal aus diesen Kategorien fällt. Wie würdest du das ständige Abknicken in den hohen Schuhen und Zusammenfallen des Körpers deuten?
[12:21]
Aïsha: Ja, genau deswegen wollte ich da auch hin. Diese Kategorien sind weggefallen, das hat die Performance geschafft. Und doch ist es verrückt, dass mensch die verschiedenen Elemente wie die Schuhe direkt einzuordnen versucht – und so die Ambiguität zwischen Stereotypen sucht, um loszukommen vom Geschlechterverständnis. Das ist ja paradox in sich. Ich hatte große Probleme damit, Oliveira auf den wackligen Beinen bei dem selbstverletzenden Schlagen zuzusehen. Das hatte etwas Zerstörerisches dem Körper gegenüber. Ich hatte den Gedanken, dass dieser Körper vielleicht immer wieder zusammenbricht, weil er zwischen den Kategorien nicht existieren kann. Wo wir wieder beim Verständnis von Geschlecht in unserer Gesellschaft wären.
[12:27]
Lisa: Das trifft es auf den Punkt. Ich habe die Szenen, in denen sich Oliveira schlägt, auch als Hass empfunden, weil der Körper ohne eine Kategorie-Zuschreibung nicht existieren kann. Hattest du zwischendurch das Verlangen Oliveiras Gesicht zu sehen?
[12:33]
Aïsha: Ja, schon. Ich habe mich auch gefragt, warum wir es nicht zu sehen bekommen, ob das passiert, weil sich Oliveira nur von hinten einer Zuschreibung entzieht. Gleichzeitig hat diese Inszenierungsentscheidung einen spannenden Effekt erzeugt: Niemand wusste, was von der anderen Seite zu sehen ist. Nur das schwache Spiegelbild in der hinteren Fensterwand hat eine Ahnung davon vermittelt. Wie erging es dir dabei? In der Vorstellung gestern sind noch in den ersten 20 Minuten zwei Menschen gegangen.
[12:35]
Lisa: Ich muss sagen, dass mich die Körperlichkeit fasziniert hat. Gerade die Kombination aus Haltung bewahren und das ständige leidende Erschlaffen und Einsinken. Allerdings war ich durch die ständige Wiederholung mancher Bewegungen gelangweilt. Mir fehlte so etwas wie ein Höhepunkt. Am Ende verliert Oliveira seine hohen Schuhe und erschlafft in einer Pfütze am Boden. Zum Schluss hört man nur noch das Aufschlagen der nackten Füße im Wasser. Wie hast du das Ende empfunden? Fandest du es passend?
[12:41]
Aïsha: Obwohl es doch Momente gab, in denen Oliveira an Stärke gewonnen hat – der eine Schuh war ausgezogen und Oliveira hatte den Körper unter Kontrolle. Diese Stärke kam in den Voguing-ähnlichen Bewegungen zum Ausdruck. Das wurde unterlegt durch die Musik mit starkem Bass. Wenn dieser androgyne Körper am Ende dann wie eine Raubkatze auf allen Vieren durch die Pfützen läuft, kommt da etwas Animalisches raus. Das war ein unglaublich ästhetisches Bild, in diesem diffusen Licht der großen Halle und mit den Schatten an den Wänden.
[12:45]
Lisa: Ja, ich mochte durchweg die Ästhetik des Lichtspiels. Mal zielte nur ein Scheinwerfer auf dem muskulösen Rücken. Und mal stand der gesamte Körper im Scheinwerferlicht.
[12:46]
Aïsha: Am Ende war nur noch der Herzschlag zu hören, als Olivieras in der Pfütze lag und das Licht wieder ausging. Diese Dunkelheit hat wieder einen Moment der Stille gegeben. Kann der Mensch sich in dieser Unbestimmtheit nicht behaupten in unserer Gesellschaft und bricht darunter zusammen? Und da ist mir wieder klar geworden, dass das Ganze unglaublich viel mit eine*m selbst zu tun hat, wie mensch in eine solche Performance hineingeht, generell Menschen gegenübertritt.
[12:48]
Lisa: Ich glaube genau diese Frage stand im Raum und sollte in diesem Moment unbeantwortet bleiben.