Tränen für den Star
1. Juni 2018
Die Performerin Franziska Rattay über Prominenz, Personenkult und ihr Stück „Britney, I love you!“
Eigentlich ist Franziska Rattay kein Morgenmensch, aber sehr strategisch. Sie hat sich unser Interview extra auf den Vormittag gelegt, damit sie einen Grund hat, früh aufzustehen und produktiv zu sein. Viel zu tun gibt es allemal: Die Performance „Britney I Love You!“ steckt gerade in der Probenphase, außerdem spielt sie am Theater Halle und am Schauspiel Köln und ist Teil der freien Gruppe DAS HYBRIS. Im letzten Jahr hat sie, nach Abschluss ihres Studiums der zeitgenössischen Puppenspielkunst 2015, viel ausprobiert und sowohl in Hybridformen von Puppen- und Schauspiel mitgewirkt als auch Regie am jungen Theater Göttingen geführt.
Zum Interview in Mitte kommt sie mit ihrem silbernen Rennrad angerast – und passt auch sonst gut in diese schnelllebige Stadt. Nur ironisches, selbstbezogenes Philosophieren über die eigene Individualität gibt’s bei ihr nicht. So beschäftigt sie auch ist, wirkt sie nicht gehetzt. Wir plaudern über meine Heimatstadt Münster, das Theater im Allgemeinen und die Arbeitsbedingungen im Besonderen.
Beim Performing Arts Festival zeigt Franziska ihre erste Soloarbeit. Die Arbeit als alleinige Darstellerin ist ziemlich einsam, sagt sie: „Bei so einer Solo-Produktion kann man schnell mal stecken bleiben, weil man zu verkopft ist und nicht mehr sieht, wie es weiter gehen könnte. Man muss sich alles viel genauer überlegen und durchkonzipieren als im Kollektiv“. Für den nötigen Perspektivwechsel stehen ihr daher die Mitglieder ihres Kollektivs künstlerisch beratend zu Seite. „Deshalb ist ‚Britney, I Love You‘ im Grunde eine Produktion von DAS HYBRIS.“ Grundsätzlich schätzt Franziska die Arbeit in einer Gruppe sehr, da hier verschiedene Ideen aufeinander prallen und so etwas Neues, Drittes entstehen kann. Was sie am Format der Performance besonders interessiert, ist, dass stetig Raum für Improvisation bleibt und der oder die Performer*in ähnlich eines Autors ein Thema beleuchten kann, das sie oder ihn interessiert.
Das Thema Britney Spears entspringt keinem eigenen Fantum, sondern entstand 2017 als Teil des Britney X Festivals am Schauspiel Köln in Zusammenarbeit mit den Regisseur*innen Pınar Karabulut und Matthias Köhler. „Dort hatte das Thema Britney Spears allein durch den Namen des Festivals seine Berechtigung. Jetzt beim Performing Arts Festival muss ich viel mehr begründen, warum ich etwas über Britney Spears erzähle.“ Deswegen hat sie ihre Performance komplett überarbeitet. „Ich empfinde das Phänomen um Britney Spears dennoch als wunderbaren Fundus, mit dem ich gut arbeiten kann.“
Franziska Rattay interessiert sich für die Marke und die Person dahinter. Vor allem die Beweggründe für obsessives Fan-Verhalten interessieren sie. Ein besonders prägendes Ausgangsmaterial war das virale Video „Leave Britney alone“. Zu sehen ist ein verzweifelter junger Mann, der nach Britney Spears Nervenzusammenbruch 2007 mit seinem Selbstmord droht, sollte der Popikone etwas zustoßen. Das Video warf für Rattay viele Fragen auf: Wie entsteht eine derart starke Bindung zu einem eigentlich fremden Menschen? Wie kommt es zu einer starken Identifizierung? Welchen Zweck erfüllt ein Fankult?
Zu diesen Fragen hat Franziska ausgiebig recherchiert. Popikonen spricht sie einen pädagogischen Auftrag zu, denn: „Das Fanobjekt kann einen aus dem Alltag holen. Gerade bei Teenagern besitzt es eine gesonderte Stellung, da sie sich in einer Orientierungsphase befinden. Man löst sich von der eigenen Familie, beginnt, einen eigenen Charakter zu entwickeln. Man sucht nach gesellschaftlichen Orientierungsbildern. Popstars werden von der Gesellschaft toleriert und gefeiert, sodass sie als Vorbilder dienen können.“
Im Theater begegnet ihr das Fan-Phänomen seltener. „Nach einer Kindervorstellung sind schon mal Kinder auf mich zugekommen und haben um ein Autogramm gebeten. So eine Begeisterung für den Künstler wäre auch bei den Erwachsenen mal ganz interessant.“ Lachend erzählt sie vom Gedanken, es könne – analog zum Fußball – Theaterultras geben, bemerkt aber auch: „Gerade in Deutschland ist der Künstler noch sehr mystifiziert und ein unnahbarer Charaktertyp. In Amerika sind Prominente viel mehr ein wirtschaftlicher Faktor und es ist die oberste Priorität so viele Fans wie möglich zu gewinnen, weil diese auch immer ein enormes Kapital bedeuten. Dafür darf der Star aber nicht zu politisch agieren, muss zugänglich sein.“ An Britney Spears lässt sich das gut beobachten: Ihre größten Hits drehen sich um für jeden nachvollziehbare Themen wie Liebe und Schmerz. Im Wahlkampf unterstützte sie sowohl Bush als auch Obama.
Gibt es ein deutsches Pendant zu Britney Spears? Helene Fischer! „Eine blonde schöne Frau, die sich aus Politik gänzlich heraushält und universelle, vielseitig interpretierbare Songs singt. Ihre Fangruppe reicht von jungen hippen Leuten bis zur Senioren, weil ihre Musik so eingängig ist und jeder einen einfachen Zugang dazu finden kann. In gewisser Weise ist dies auch eine Art von Inklusion.“
„Britney, I love you!“ läuft beim PAF am 6. Juni um 19.30 Uhr im Berliner Ringtheater.
Von Christina Reuter