Trigger mich an!
10. Juni 2018
Pro: Das Borgtheater macht in „CYBORG-CITY“ den Helena-Mythos neu erlebbar
Algorithmen bestimmen schon heute unseren Alltag. Computerprogramme analysieren unsere Daten und stufen unsere Kreditwürdigkeit ein, schlagen den perfekten Partner vor oder zeigen den schnellsten Weg an unser Ziel. Die Cyborgianer in Cyborg.City wollen, dass wir alles, was uns ausmacht, ablegen, schließlich nur ein Algorithmus zurückbleibt. So befindet man sich in der Schlacht um Troja.kon auf einem ständigen Scheideweg seiner Identität.
Für das Performing Arts Festival zieht die Gruppe Borgtheater – cyborg performing theatre vom ehemaligen Stummfilmkino Delphi ins Kühlhaus Berlin, um in ihrer aktuellen Produktion „CYBORG-CITY / dieSchlachtumTroja.kon“ den Zuschauer spielerisch den Verlauf mitentscheiden zu lassen. Rolf Kasteleiner und Anne-Sylvie König entwerfen mit ihrem Team eine Performance, in der die Theaterwelt mit einem Computerspiel zu fusionieren scheint.
2055 besteht die Welt aus einer einzigen Oberfläche: Cyborg.City. Die Devise: das Menschliche durch eine komplette Maschinisierung auszulöschen. Einen Hort des Widerstands allerdings gibt es: Troja.kon, wo man sich gegen die Cyborgs noch zu Wehr setzen will. Das Publikum bekommt die Möglichkeit, sich im Verlauf der Performance zu entscheiden, auf welche Seite es sich schlagen will, um die schöne Helena (ein Computerprogramm) entweder zu beschützen oder sie zurückzuerobern und zerstören.
Zunächst wird das gesamte Publikum in Gruppen von vier bis sechs Menschen aufgeteilt, die in Sieben-Minuten-Abständen ‚die Oberfläche‘ betreten. Im leeren Raum steht einsam ein bleich geschminkter Schauspieler. Dieser Schiedsrichter-Cyborg gibt freundlich eine Einleitung in das bestehende Problem rund um Helena. „Trigger mich an“, ist sein nächster Befehl. Bis zu einen Meter tritt man an ihn heran, hebt seine linke Hand zu der bereits gehobenen Hand des Gegenübers, ein paar Mal Blinzeln – schon ist man gescannt. Die Arme werden vor dem Körper gefaltet und die linke Hand wird gehoben, eine offizielle Begrüßung, die vom Publikum gelernt werden muss. Dazu kommt ein stabiler Gang. Schnell sind die Grundlagen gespeichert und das Publikum nun ein Teil des Programms.
Mit einem Fahrstuhl begibt sich die Gruppe an die Oberfläche in einen Parcours aus einzelnen Stationen. In abgetrennten Bereichen warten mechanisch zuckende Cyborggestalten mit moralischen Fragen und Aufgaben, bei denen jeweils eine A- oder B-Entscheidung getroffen werden muss. Dabei kann man rote und blaue Punkte sammeln, die am Ende bestimmen, ob man ein Cyborgianer oder Trojakonik ist. In der großen Schlacht kämpfen dann alle Gruppen aufgeteilt in ihre Lager auf acht Bahnen um die Eroberung von Troja.kon – mit allen Mitteln: Rätsel müssen gelöst, Codes entschlüsselt, Cyborgs mit Lasern ausgeschaltet werden. Seite an Seite mit den technischen Reinkarnationen der griechischen Helden in Form der Cyborgs entscheidet sich der Mythos noch einmal neu.
Das Ensemble des Borgtheaters schafft es, die Zuschauer leicht in ihren Bann zu ziehen. Schnell lässt man sich auf ihre Welt ein. Besonders dem Schiedsrichter, gespielt von Florian Bilbao, gelingt es, in seiner betörenden Art den Zuschauer in das perfide Spiel einzuwickeln und zu programmieren. Man entwickelt Sympathien, die auch ausgenutzt werden. Nicht nur einmal hinterfragt man seine eigenen Entscheidungen und überlegt im Nachhinein, ob man sich nicht gerade von einer Maschine hat manipulieren lassen. Die Antwort ist: Ja. Aber in diesem Fall haben wir es gerne getan.
Von Antonia Kaminiczny
Wieder Sonntag, 19 und 20.30 Uhr.
Hier geht’s zur Contra-Kritik.