[13:09:52]
Janne: Aïsha, wir haben uns gestern zur Doppelvorstellung “Don’t Go for Second Best, Baby!” von Ania Nowak und “OBNIMASHKI” von Anna Aristarkhova in den Sophiensaelen getroffen. Findest du es sinnvoll, die beiden Arbeiten hintereinander/zusammen zu zeigen?
[13:16:33]
Aïsha: Darüber bin ich mir noch unschlüssig. Sie waren so gegenteilig in ihrer Ästhetik, dass es sich einerseits angeboten hat, um das herauszustellen. Andererseits haben sie eben für mich überhaupt nicht zusammengepasst. In “Don’t Go for Second Best, Baby!” ging es ja darum zu sehen, was passiert, wenn der Backup-Tanz allein gezeigt wird. Ich hatte meine Probleme mit anzusehen, wie Julia Plawgo und Julek Kreutzer sich in diese Objektposition begeben haben. Alles war so perfekt. Dagegen stand das Menschliche in “OBNIMASHKI”. Das Stück war für mich ehrlich und schön. Wie ging es dir mit “Don’t Go for Second Best, Baby!”?
[13:24:56]
Janne: Das ging mir auch so. Ich hätte mir für die Arbeiten gewünscht, dass sie für sich alleine hätten stehen können. Die anderen Produktionen, die im Rahmen der Nachwuchsplattform INTRODUCING… vorgestellt werden, bekommen ja auch ihren eigenen Raum. Nur weil zwei Stücke etwas kürzer ausfallen, müssen sie nicht unbedingt zusammengelegt werden. Dem Andrang an der Kasse nach zu urteilen, wäre es sicher kein Problem gewesen den Hochzeitssaal zweimal vollzubekommen. Ich hatte mich im Vorhinein nicht über die Arbeit informiert und war während der Aufführung thematisch ein bisschen verloren. Als ich im Nachhinein ins Programm geschaut habe, wurde mir einiges klarer. Mensch muss nicht immer alles verstehen, aber hier hätte ich die Hintergrundinformation, dass es sich um Background-Tanz dreht, dringend gebraucht.
[13:31:08]
Aïsha: Ja, verloren habe ich mich auch gefühlt ohne diese Information. Andererseits finde ich es gerade spannend, dass es mir dadurch wahrscheinlich noch viel schwerer gefallen ist, diesem ja doch sehr sexualisierten Tanz zuzusehen. Mir hat die Reibung gefehlt. Erst der Bruch nach dem ersten Abschnitt, als sich die beiden Tänzerinnen an die Seiten gestellt haben und aus dieser sehr präsenten Rolle, in der Mitte der Bühne, auch räumlich ausgetreten sind, hat mich berührt. In der Stückbeschreibung stehen Fragen wie: “Wie verändert sich deren Verhältnis zueinander? Wie verändert das den Blick des Publikums?” Hast du darauf Antworten gefunden?
[13:39:58]
Janne: Die beiden Tänzerinnen haben zwischendurch immer wieder intime Blicke oder ein kleines Lächeln ausgetauscht. Diese Momente fand ich spannend. Als am Anfang in einer Art Loop die immer wieder gleichen Bewegungsabfolgen zu clubähnlichen Beats vollzogen wurden, hatte ich das Gefühl, als Zuschauende gar nicht von den Beiden wahrgenommen zu werden. Da war eine gewisse Distanz. Später gab es kurze, aber bestimmte Blicke ins Publikum, die den voyeuristischen Blick auf die muskulösen Körper entlarvt haben. Auch als anfangs die Musik plötzlich verstummte, nur noch die einzelne Bewegung, der schwitzenden, sich anspannenden Körper im Fokus waren, hat sich dieses Gefühl intensiviert.
[13:48:07]
Aïsha: Ja, die Momente ohne Musik haben sich noch unangenehmer angefühlt als Zuschauerin. Zwischen den Beiden hat sich da ein schönes Spiel entwickelt, in dem ich mich aber schon mit meinem Blick sehr störend gefühlt habe. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, haben sie es schon geschafft, nochmal auf den Punkt zu bringen, was da im Backup-Tanz so passiert auf den großen Bühnen. Natürlich waren das wahnsinnig schöne Körper – aber eben auch nicht viel mehr. Der Charakter, der Mensch dahinter hat gefehlt.
[13:52:09]
Janne: Ich kann mir vorstellen, dass “gut aussehen” wesentliches Kriterium in dem Geschäft ist.
[13:52:57]
Aïsha: Natürlich, das klassische Schönheitsideal unserer Gesellschaft.
[13:58:12]
Janne: Im direkten Gegensatz dazu stehen dann die fünf Tänzer*innen in “OBNIMASHKI”. Da sehen wir ganz unterschiedliche Körper, die dieses Ideal von Schönheit sofort unterwandern.
[14:07:07]
Aïsha: Und gerade das war dieser schöne Gegensatz. In “OBNIMASHKI” hatte ich kein komisches Gefühl, diesen Menschen in ihrer Unsicherheit zuzusehen. Das war so ehrlich unperfekt, wie sie sich probiert haben an dem Aufeinanderzugehen, den Berührungen, ja den Umarmungen. Was da auf der Bühne passiert ist, war so vielschichtig. Abgesehen von der unterschiedlichen Thematik haben die beiden Stücke sehr verschiedene Zugänge gewählt. Anna Aristarkhova, die wie Ania Nowak auch an der HZT studiert hat, ist sehr viel offener an ihre Thematik herangegangen. Was wir da gesehen haben, war ja ein Versuch. Eine Untersuchung, was eine Umarmung eigentlich ist, wie unterschiedlich sie ausfallen kann. Damit hat sie Fragen aufgeworfen: Wo fängt eine Umarmung an? Warum umarmen wir uns? Wie fühlen wir uns bei diesen körperlichen Begegnungen? “OBNIMASHKI “hatte etwas Unfertiges. Das hat mir gefallen.
[14:12:28]
Janne: Das finde ich auch. Wie zum Beispiel die Anleitung für eine Umarmung: “Step 2: Possibly open your arms slightly to prepare yourself mentally”. Eine Anleitung für soziale Interaktion, das finde ich extrem spannend. Es hatte in all seiner Einfachheit etwas sehr Kluges. Und hat die Komplexität von Zwischenmenschlichkeit in dieser alltäglichen Geste sowohl körperlich als auch geistig auf den Punkt gebracht.
[14:22:14]
Aïsha: Oh ja. Und es hat den Raum geöffnet, das Publikum in diesen Versuch eingelassen. Schon am Anfang wurden wir angesprochen, angelächelt, indirekt aufgefordert, unseren Mitmenschen offen gegenüberzutreten. Dieses Spiel, in dem sie Zahlen genannt haben, die für die Anzahl von Menschen standen, die sich dann zusammenfinden sollten, hatte dieses Einfache, das du beschreibst – und es hat auf eine sehr ehrliche, natürliche und spontane Art die neuen Begegnungen herausgefordert. Diese Individualität der Menschen zu erkennen, sowohl einzeln als auch in ihren Begegnungen, fand ich sehr interessant.
[14:44:14]
Janne: Es gab da aber diesen einen seltsamen Bruch. Plötzlich dröhnten Stadionsounds aus den Boxen, die Tänzer*innen entkleideten sich bis auf einen sportlichen Bodysuit und rangen plötzlich miteinander. Die Handlung wurde mir durch den Sound, das Kostüm, die Schiedsrichterin mit Trillerpfeife irgendwie viel zu konkret.
[14:50:27]
Aïsha: So ging es mir auch. Ich mochte es eigentlich, dass der Raum vorher viel Raum für Assoziationen zugelassen hat. Plötzlich waren wir im Boxring und in der körperlichen Auseinandersetzung, aus der dann irgendwann wieder Umarmungen geworden sind. Die Körper sind ineinander verschmolzen. Von da an war es wieder schön, die Dynamik in der Gruppe wahrzunehmen.
[ 14:27:42]
Janne: Am Ende wird das Spiel zur direkten Einladung zur Partizipation. Als die Zahl sechs fällt, kommt wieder der Mikrofonständer zum Einsatz, denn natürlich kann man auch Objekte umarmen. Dann zählen sie aufwärts. Sieben. Ein auffordernder Blick ins Publikum. Dann dauert es einen Moment und die erste Person schlüpft in den Kreis aus sich umarmenden Menschen. Acht, neun, zehn. Auch wir beide haben uns dann irgendwann in Bewegung gesetzt. Sie scherzen weiter: Fünfundzwanzig. Fünfundneunzig. Es werden immer mehr, auch wenn ein ganz wesentlicher Teil des Publikums sitzen bleibt. Das war eine schöne, wenn auch verschwitzte Erfahrung.
[ 14:36:52]
Aïsha: Dass so viele Menschen sitzen geblieben sind, fand ich schade. Ich fand diese Aufforderung gerade schön, um mich selber auch in diese Position zu begeben und zu sehen, wie ich mich dabei fühle, ohne nur aus meiner Wahrnehmung von den Anderen zu schöpfen. War jedenfalls schön, dich im Arm zu halten, wenn auch die Länge Grenzen der alltäglichen Umarmung gesprengt hat.
[15:02:18]
Janne: Jetzt nach unserem Gespräch macht es für mich auch mehr Sinn, die beiden Arbeiten zusammenzusehen. Gleiche Schule, unterschiedliche Ästhetik.