Ertappt! - Performing Arts Festival Blog 2018

Ertappt!

31. Mai 2019

KRITIKEN

Henrike Iglesias mit „Oh My“ in den Sophiensälen.

„Meine Möse ist eine richtige Rampensau“, verkündet Marielle Schavan stolz. Schon erscheint diese Rampensau in einer Live-Großaufnahme auf der Leinwand und bewegt sich Lippensynchron zu Adeles „Hello from the other side“. Ihr geliebtes Schamhaar ist hier das einzig Sichtbare, was auf eine vermeintliche Scham hinweisen könnte, die offensichtlich längst überwunden wurde. Das ist es auch, worum es dem Theaterkollektiv Henrike Iglesias – Marielle Shavan, Laura Naumann, Sophia Schroth und Anna Fries – in seiner Performance „Oh My“ geht: Zusammen mit Eva G. Alonso, Malu Peeters und Mascha Mihoa Bischoff, die sich um Ton, Licht und Kostüme kümmern, ermutigen sie dazu, die Scham hinter sich zu lassen und alle Sprachbarrieren zu überwinden, die sie mit sich bringt.
Für das Empowerment wenden sie experimentierfreudig die verschiedensten Techniken an. Da sind zum Beispiel die Kopfhörer, über die eine angeturnte Frauenstimme dem Publikum erotische Gedanken ins Ohr haucht. Plötzlich fühlt man sich merkwürdig ertappt: Hat mir die Stimme jetzt gerade Gedanken in den Kopf gepflanzt oder sie durch ihre Verbalisierung bloß an die Oberfläche des Bewusstseins geholt?

Eine anregende Empowerment-Strategie sind auch die dreizehn Live-Pornos, die innerhalb der Performance gedreht werden. Dabei ist mitzuerleben, wie sich Alltägliches mit Normalem paart und Skurriles zum Vorschein bringt: Sophia Schroths Spucke läuft durch ihre Kniebeuge, Menstruationsblut (vermutlich Himbeersaft) verschmiert die Gesichter von Laura Naumann und Anna Fries und Marielle Shavans Vulva bewegt sich im Rhythmus der Musik.

Alltägliches erscheint so in einem neuen Licht. Wortwörtlich: Durch die Beleuchtung öffnen sich neue und bislang unbeachtete (Gedanken-)Räume. Wie es wohl wäre, das Scheinwerfergerüst hinaufzuklettern und sich an den Metallstäben zu reiben, fragt die hauchende Stimme im Kopfhörer. Zeitgleich erstrahlt die Saaldecke in weißem Licht und lenkt Blick und Träumereien in eine neue, bisher unbeachtete Richtung. Oder wie wäre es, wenn sich alle zusammen auf das aufblasbare, igluartige Haus legen, das Henrike Iglesias als Porno-Filmset gedient hat? Noch abwegiger: Man könnte sich ja auch der Sitznachbar*in zuwenden, die jetzt langsam wieder aus dem Dunkeln auftaucht, und sie nach eigenen Pornofantasien fragen. Aber schneller als man ins Gespräch kommen kann, kommt „Oh My“ auch schon zum Schluss.

Offen bleibt, ob die ironisch verpackten Botschaften mehr transportieren als einen lockeren Umgang mit Sex, Selbstbestimmung, dem eigenen Begehren. Zwar bietet das Kollektiv eine charmante Form der Aufklärung, könnte aber noch tiefer in die Marterie eindringen. Patriarchale Rollenverhältnisse, selbstbestimmte Körper, das eigene (Un-)Lustempfinden sind Themen, die durchaus mehr vertragen als ein Kratzen an der Oberfläche.

von Corina Hofner