Spiegel-Blicke - Performing Arts Festival Blog 2018

Spiegel-Blicke

30. Mai 2019

KRITIKEN

In ihrem Solo „kırmızı“ fragt Sophie Bogdan nach Weiblichkeit als körperlicher Erfahrung.

Ein rotes Stoffbündel, eingeklemmt zwischen Hosenbund und T-Shirt, formt einen Kugelbauch. Die Figur in Sophie Bogdans Solo „kırmızı“ (Türkisch für Rot) steht lächelnd an der Rampe, betastet den Babybauch und blickt ins Publikum. Das Licht erlischt. Die rund 20-minütige Performance zum Thema Weiblichkeit ist zu Ende. In mehreren Sequenzen, die sich an den Lebensabschnitten Geburt, Kleinkind, Pubertät und frühes Erwachsensein orientieren, fragt die Künstlerin nach Weiblichkeit als körperliche Erfahrung. Diesen Prozess zeigt sie auf einer äußerlichen Ebene über Requisiten und einer inneren Ebene durch ihre Körpersprache. 

Dabei greift sie den roten Stoff immer wieder auf. Zunächst symbolisiert er den Mutterleib, aus dem sich das Neugeborene befreit: Kopf, Schultern, Rumpf und Beine der Performerin strampeln sich frei. Das Tuch bleibt wie eine Plazenta auf dem Boden zurück, während die Darstellerin sich vom Baby zum Kleinkind, die ersten Schritte taumelt, das erste Kleidchen.

Eine bläulich scheinende LED-Taschenlampe wirkt wie das Licht eines Smartphones und markiert den Schritt ins Jugendalter. Im kalten Schein untersucht Bogdan den eigenen Körper in Drehungen, Verrenkungen, Posen. Der Blick durch das Handy wird zum kritischen Begleiter, zum Verbündeten in der Erkundung und Darstellung eines weiblichen Körpers. Noch ist es nur der eigene Blick, dem der Körper standhalten muss, wenn auch schon geleitet durch die Linse.

In der nächsten Sequenz dagegen blickt die Performerin bei vollem Spiellicht in einen imaginären Spiegel im Publikum. Es ist nicht mehr nur der eigene Blick, der ihren Körper prüft, es ist auch der Blick der anderen. Mit dieser „Als-ob-Technik“ stößt Bogdan Assoziationen an, ohne eindeutige Zuschreibungen zu provozieren. Die LED-Taschenlampe kann so tun, als sei sie ein Smartphone. Sie kann auch einfach eine Lampe, ein Lichteffekt, sein. Bogdan erklärt diese Momente nicht, sie lässt sie wirken.

Nachdem der Körper scheinbar äußerlich gezähmt ist, zieht die Performerin sich Pumps an. Während der Gesichtsausdruck konzentriert und ernst, fast abwesend wirkt, knicken die Knöchel bei jedem Schritt nach Innen und Außen um: ein Zwiespalt zwischen Verkörperung einer selbstbewussten Frau und dem Körper, der aufs Äußerste belastet wird.

Anders verhält es sich mit der Schwangerschaft am Ende: Das rote Tuch, ruhig und liebevoll in Form geknautscht, steht für eine Schwangerschaft, der offene Gesichtsausdruck und das Lächeln für Zufriedenheit, das endgültige Black für den Schluss. Kein Bruch, keine Ironie, keine Zweifel.

Frausein kann Muttersein bedeuten. Und Muttersein kann sinnstiftend und erfüllend sein, auch in Bezug auf Weiblichkeit. Aber genauso gilt, dass nicht Schwangerschaft, nicht der Wunsch nach einem Kind, nicht einmal eine Gebärmutter zwingende Voraussetzungen sind, um sich weiblich zu fühlen.

Eine Schwangerschaft ans Ende einer Performance zu setzen, die sich mit der Suche nach Weiblichkeit beschäftigt, ist ein streitbares Zeichen.

Das weiß auch Sophie Bogdan. Nach der Performance habe ich das Glück, sie für ein kurzes Gespräch zu treffen. Für sie ist „kırmızı“ eine Prozessperformance, die sie seit vier Jahren begleitet. Innerhalb der vier Jahre hat sich die Performance gewandelt und erweitert, der aktuelle Schluss ist in den letzten Proben zum Performing Arts Festival Berlin 2019 entstanden. Dabei steht das Zusammenspiel zwischen weiblichem Zyklus und Lebenszyklus im Vordergrund und Bogdan betont, dass es sich in dieser Variation von „kırmızı“ um eine Möglichkeit, nicht um eine endgültige Position handelt. Wenn sie die Performance in einigen Jahren wieder hervorholt, wie sich die Darstellung von Weiblichkeit verändert hat.

Von Mareike Dobberthien