Unter der Haut - Performing Arts Festival Blog 2018

Unter der Haut

1. Juni 2019

KRITIKEN

Henrike Inglesias’ „Oh My“ in den Sophiensälen.

“Was ist Sex überhaupt?” In seiner Performance “Oh My” zeigt das Kollektiv Henrike Iglesias, dass Sex vielseitiger sein kann, als man denkt. Vier Frauen drehen zusammen einen Pornofilm. Provoziert werden dabei nicht nur die Männer, die im Internet Pornographie anschauen. Sondern auch die anderen, die in der hochsexualisierten Gesellschaft leben, in der es ein uniformes Bild der weiblichen Figur gibt. 

Dabei verwischt die Grenze zwischen Zuschauer*innen und Schauspielerinnen. Etwa, wenn jemand aus dem Publikum auf die Bühne eingeladen ist, mit den Schauspielerinnen im Porno-Set zu interagieren. So sind die Zuschauer*innen Subjekt und Objekt zugleich. Die Performance beginnt mit einer flüsternden Stimme, die die Nachbar*innen als sexuelle Partner*innen bezeichnet. Ein kollektives Erlebnis intimer Momente. Ja, es irritiert, aber es ist zugleich eine starke Art, vom Beginn auf das Thema überzuleiten.

Durch die Kopfhörer hört man die rohen Töne des menschlichen Körpers, deshalb fühlt man sich der Handlung extrem nah. Man bekommt das Gefühl, die beobachtete Person zu berühren. Dieser taktile Aspekt wird durch das Bühnenbild und die Kostüme verstärkt. Die kurvige Fläche der aufblasbaren Box auf der Bühne, in der viele Szenen spielen, könnte man mit der Körperhaut vergleichen; die glänzende Kostüme heben die Vielseitigkeit des weiblichen Körpers hervor.

Die Aktion der Schauspielerinnen auf der Bühne und ihre auf die aufblasbare Box projizierte Aufnahme stehen oft nebeneinander, ergänzen sich. So zeigt der Abend eine halb virtuelle Welt. Die voyeuristische Inszenierung erlaubt es dem Publikum, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und hinterfragt das standardisierte Porträt der weiblichen Figur in der Pornographie.

Von Takayoshi Goto

Foto: Paula Reissig